Berlin. Spannung im Willy-Brandt-Haus: Gibt der SPD-Parteikonvent grünes Licht für Verhandlungen über eine große Koalition? Der Vorstand kam am Morgen zu Beratungen über die Bedingungen für die Verhandlungen zusammen - von Steuererhöhungen scheint man sich zu verabschieden.

Die SPD will in einer großen Koalition Forderungen wie 8,50 Euro Mindestlohn durchsetzen, aber auf Steuererhöhungen verzichten. Der 35-köpfige Parteivorstand billigte am Sonntagmorgen Verhandlungen mit der Union, stellte aber zehn Kernforderungen dafür auf. Darüber sollte der Parteikonvent mit 235 stimmberechtigten Mitgliedern am Nachmittag entscheiden. Gibt der Konvent als höchstes Beschlussgremium zwischen Bundesparteitagen grünes Licht, sollen die Koalitionsverhandlungen mit der Union am Mittwoch beginnen.

Im Parteivorstand gab es eine Stimme gegen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit CDU/CSU. Nachdem zunächst eine Abschaffung des von Union und FDP eingeführten Betreuungsgeldes im Entwurf der Parteiführung um SPD-Chef Sigmar Gabriel gar nicht auftauchte, soll dies nach Angaben aus SPD-Kreisen nun zumindest als eine Art Prüfauftrag für die Koalitionsverhandlungen ergänzt werden.

Zentral sind für die SPD arbeitsmarktpolitische Verbesserungen. "Wir wollen, dass sich in Deutschland Arbeit wieder für alle lohnt", heißt in der Beschlussempfehlung der SPD-Spitze, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Gefordert wird unter anderem die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde. Außerdem wird eine wirksame Bekämpfung des Missbrauchs von Leih- und Zeitarbeit und sogenannter Werkverträge verlangt.

Forderung nach einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes soll nicht mehr erhoben werden

Die Forderung nach einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent aus dem SPD-Bundestagswahlprogramm soll nicht mehr erhoben werden. Das stößt bei der Parteilinken auf Kritik. "Das sind in meinen Augen Minimalforderungen", sagte deren Sprecherin Hilde Mattheis. Die Punkte müssen absolut ergänzt werden. Auch der Ruf nach einer Gesundheits-Bürgerversicherung, in die alle einzahlen, wird in dem Forderungskatalog nicht mehr erhoben.

Zudem fehlt die von CDU und CSU abgelehnte völlige Gleichstellung homosexueller Paare, etwa bei der Adoption von Kindern. Hier hatten sich Merkel und CSU-Chef Horst Seeehofer nicht kompromissbereit gezeigt. Weiterhin gefordert wird eine Finanztransaktionssteuer, eine stärkere Bekämpfung von Steuerbetrug, mehr Geld für Kommunen sowie eine auskömmliche Rente für langjährige Beitragszahler.

Angestrebt wird eine Angleichung der Rentensysteme in Ost- und Westdeutschland. Ebenfalls Teil des Katalogs ist eine auch von Kanzlerin Merkel bereits in Aussicht gestellte Anhebung der Beiträge zu Pflegeversicherung, um die Pflege alter Menschen zu verbessern. Zudem wird die doppelte Staatsbürgerschaft gefordert.

"Der SPD-Parteikonvent beauftragt die noch zu bildende Verhandlungskommission auf der Basis dieser Kernforderungen die Koalitionsverhandlungen aufzunehmen", wird im Entwurf betont. Viele Forderungen bleiben vage und lassen Spielraum für Kompromisse. Es wurde eine lebhafte Debatte bei dem Konvent erwartet - nicht aber eine Ablehnung der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. Ein Vorstandsmitglied sagte, 80 Prozent Zustimmung seien denkbar.

SPD-Vorstandsmitglieder hoben Mindestlohn als zentrale Bedingung hervor

Mehrere SPD-Vorstandsmitglieder hoben den Mindestlohn als zentrale Bedingung hervor. "Für uns ist das nicht verhandelbar, so wie für die CDU anscheinend Steuererhöhungen nicht verhandelbar sind", sagte der saarländische Landeschef Heiko Maas. Auch Fraktionsvize Hubertus Heil nannte den Mindestlohn ein "ganz zentrales Thema". Der Wirtschaftsflügel der Union macht unterdessen Front gegen einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn. "Ein einheitlicher flächendeckender Mindestlohn würde die weitere Arbeitsmarktentwicklung, neues Wachstum und sprudelnde Steuereinnahmen deutlich bremsen", heißt es in einem Entwurf für ein Zehnpunktepapier mit Forderungen, die dem "Spiegel" vorliegt.

Laut "Spiegel" will die Union Investitionen für Verkehr und Bildung aus den Überschüssen des Bundeshaushalts bis 2017 finanzieren. Bis dahin rechnet Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mit einem Plus von insgesamt rund 15 Milliarden Euro. Allein für einen Investitionsfonds für die Verkehrsinfrastruktur sind elf Milliarden Euro vorgesehen. Dennoch will die Union am Ziel eines ausgeglichenen Bundesetats ohne neue Schulden festhalten.

Die SPD pocht auf einen "Finanzierungs-TÜV" für alle Vorhaben. Einem Koalitionsvertrag müssten am Ende die rund 470 000 Mitglieder zustimmen. Die Union hatte die Bundestagswahl vor vier Wochen mit 41,5 Prozent gewonnen - ihr fehlen fünf Mandate zur absoluten Mehrheit. Die SPD landete bei 25,7 Prozent - nach der Absage der Grünen kommmt nur sie als Koalitionspartner für die Union in Frage.