Xi'an/Taipeh. Im taiwanesischen Verteidigungsministerium wächst die Angst vor einem chinesischen Angriff. Laut eines Berichts des Ministeriums könnte Chinas Volksbefreiungsarmee im Jahr 2020 in Form eines Großangriffs zuschlagen. China pumpt jährlich Milliarden in den Aufbau einer schlagfertigen Hightech-Armee.
Der 19 Jahre alte Soldat der chinesischen Volksbefreiungsarmee schaut mit starrem Blick geradeaus. Das Gewehr hält er fest gegen den Oberkörper gepresst. "Ich bin stolz, meinem Land dienen zu dürfen, und die nationale Souveränität zu verteidigen", ruft er bei einem Journalistenbesuch auf seinem Stützpunkt nahe der zentralchinesischen Stadt Xi'an vor wenigen Wochen. Solche Aussagen hören Strategen auf Taiwan mit Sorge. Denn die Insel vor der chinesischen Küste, die Peking nur "abtrünnige Provinz" nennt, lebt in Angst vor einer Invasion des großen Nachbarn.
Mittlerweile hat das taiwanesische Verteidigungsministerium eine konkrete Zahl für seinen Alptraum. Sie lautet 2020. Bis dahin soll die Volksbefreiungsarmee zu einem Großangriff auf Taiwan in der Lage sein, heißt es in dem jüngst veröffentlichten, 215 Seiten langen Bericht "Chinas militärische Bedrohung für Taiwan". Derzeit sollen 1000 Raketen vom Festland auf Ziele in Taiwan gerichtet sein - Tendenz steigend, wie Taiwans Nachrichtenagentur CNA schreibt. Gleichzeitig arbeite Peking an einem Heer von Cyberkriegern, um das digitale Leben auf Taiwan auslöschen zu können.
China will Probleme "nicht an die nächste Generation weitergeben"
Auch die USA verfolgen die chinesische Aufrüstung mit Sorge. Im aktuellen Bericht des Pentagons über das chinesische Militär schreiben die Strategen: "Die Volksbefreiungsarmee ist zu immer ausgereifteren Militäraktionen gegen Taiwan in der Lage." Peking könne etwa in einem Blitzangriff versuchen, die Insel einzunehmen, bevor sich andere Länder in den Konflikt einschalten könnten.
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Chinesische Experten sehen die Volksbefreiungsarmee hingegen noch nicht so weit. Das Jahr 2020 sei für eine Intervention zu ambitioniert gedacht, meint Professor Yan Xuetong von der Pekinger Tsinghua Universität. "In 10 Jahren könnte es so weit sein. 2020 wird Chinas Militär das Niveau von Russland erreichen, aber noch deutlich hinter den USA sein", schätzt Yan gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. "Wenn Taiwan den Weg einer juristischen Unabhängigkeit geht, muss die Volksbefreiungsarmee sie gewaltsam stoppen."
Anfang Oktober hatte Chinas Staatschef Xi Jinping bei einem Treffen mit einem Wirtschaftsvertreter aus Taiwan zu den konfliktgeladenen Beziehungen gesagt: "Wir können die Probleme nicht an die nächste Generation weitergeben." Während manche Beobachter dies als Signal für eine Entspannung der Beziehungen werteten, sahen andere darin mehr Druck auf die Führung in Taipeh, der Zentralregierung in Peking entgegenzukommen.
Erinnerungen an den Konflikt der 90er sitzen tief
Das Verhältnis zu Taiwan oder zur "abtrünnigen Provinz" ist von zentraler Bedeutung für China. Die Militärs haben das Thema in ihrem neuesten Weißbuch zu einem der "Kernthemen" erklärt. Bereits 2005 hatte der chinesische Volkskongress jegliche Absage an eine Unabhängigkeit Taiwans sogar in Gesetzesform gegossen. Mit dem "Anti-Abspaltungsgesetz" schrieb China fest, dass es auf eine Unabhängigkeitserklärung mit "nicht-friedlichen Mitteln" reagieren könne.
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Die gesamte Aufrüstung und Modernisierung der chinesischen Streitkräfte beruht zu einem großen Teil auf dem konfliktreichen Verhältnis zu der Insel an der chinesischen Ostküste. Noch immer sitzt die Erinnerung an den Konflikt von 1995 und 1996 tief. Damals schoss die Volksbefreiungsarmee mit Raketen in Richtung Taiwan. US-Präsident Bill Clinton reagierte seinerseits mit einer Machtdemonstration und sendete zwei Flugzeugträger samt Begleitschiffen in die Region.
Die Erfahrung von 1996 hat nach Einschätzung des US-Militärexperten David Shambaugh von der George Washington Universität gezeigt, dass Peking außer Raketen nicht viel aufbieten konnte. Jährlich pumpt die Zentralregierung nun mehr Geld in den Aufbau einer schlagfertigen Hightech-Truppe. Das Militär habe schon fast alle Fähigkeiten für eine Invasion Taiwans, meint Shambaugh, der ein Buch über die Modernisierung der chinesischen Streitkräfte geschrieben hat. "Es fehlt nur noch die Fähigkeit, eine konventionelle Attacke mit der Landung Hunderttausender Soldaten zu erreichen." (dpa)