Essen. Wie geht es weiter mit der FDP? Für das FDP-Urgestein Burkhard Hirsch hat der Wahlschock bei der vergangene Bundestagswahl auch sein Gutes. Dass die FDP nicht mehr in der Regierung sitzt, habe er trotz des Schocks auch „auch als Befreiung empfunden“. Doch wofür sollte die Partei nun stehen?
Burkhard Hirsch ist in seinem alten Mittelklassewagen aus Düsseldorf gekommen, trotz des Dauerstaus natürlich überpünktlich. Als erstes legt er sein rotes Notizbüchlein und das gelbe FDP-Wahlprogramm auf den Tisch. Es ist ein irgendwie typischer Auftritt für den inzwischen 83-Jährigen, der immer schon als bescheiden, kultiviert, akribisch, gelb und ein bisschen rot galt.
Doch seine Vergangenheit als NRW-Innenminister einer sozialliberalen Koalition, seine großen juristischen Erfolge im Kampf um die Bürgerrechte, seinen ungebrochenen Ruf als Stimme der Freiheit will er gar nicht groß thematisieren. Es soll um die Lage der FDP gehen, mehr noch: um die Zukunft des parlamentarischen Liberalismus in Deutschland.
„Der tiefste Niedergang“
Der Wahlsonntag hat Burkhard Hirsch eine merkwürdige Gefühlsmelange beschert. Einerseits war da der „Schock“. Die FDP, seit Anbeginn der Republik im Bundestag und 44 Jahre in Regierungsverantwortung, ist nicht mehr dabei. Andererseits: „Ich habe es auch als Befreiung empfunden, dass wir nicht mehr in der Regierung sind“, sagt Hirsch. Die Union, diese „schwarze Witwe“, habe der FDP keinen Erfolg gegönnt.
Auch interessant
Der ganze Mist sei beim kleinen Partner abgeladen worden, Koalitionsvereinbarungen wie ein Drei-Stufen-Steuersystem seien nicht eingehalten worden. Die Führung der Liberalen wiederum, die „verbraucht war oder nicht ankam“, habe sich auf Teile der Wirtschaftspolitik verengen lassen und im Umgang mit der Union keine Grenzen aufgezeigt. „Eine Koalition darf nicht die Fortsetzung des Fingerhakelns mit anderen Mitteln sein“, sagt Hirsch. Am Ende dann die peinliche Bettelei um die Zweitstimme, für ihn „der tiefste Niedergang einer liberalen Partei“.
Hoffnungsträger Christian Lindner
Der Partei ein neues Gesicht zu geben, ist wohl noch die leichteste Aufgabe. Hirsch schätzt den designierten neuen Bundesparteichef Christian Lindner, der die Aufmerksamkeit der Medien und der Menschen gewinnen könne. Dazu schwebt ihm ein „Braintrust“ aus jüngeren abgewählten Bundestagsabgeordneten vor, die er noch immer für „eine Zierde jeder Fraktion“ hält: Marco Buschmann, Gisela Piltz, Otto Fricke, Johannes Vogel, natürlich auch alte Kämpen wie Wolfgang Kubicki oder Jungliberalen-Chef Lasse Becker.
Das Wichtigste sei jedoch eines: „Die Liberalen müssen frei von Koalitionszwängen den Liberalismus neu formulieren“, glaubt Hirsch. Eine Art „Freiburger Thesen“, übertragen auf die Gegenwart der individualisierten Gesellschaft, der grenzenlosen Märkte, des vereinigten Europas und digitalisierten Zeitalters.Bundestagswahl 2013
Wo war die FDP beim Lauschangriff-Skandal?
Wenn Burkhard Hirsch Liberalismus buchstabiert, hört es sich anders an als Steuern-runter-Geschrei, Besserverdienenden-Partei oder „Leistung muss sich wieder lohnen“.
Das Wahl-Fiasko der FDP
Zentrales Thema sind die Bürgerrechte: Hirsch findet es bedauerlich, dass heute das Bundesverfassungsgericht Taktgeber in Fragen des Lauschangriffs, der Vorratsdatenspeicherung oder der Datenrechte sein muss. Wo war der Druck der Bürgerrechtspartei FDP, als die Schnüffelei des US-Spionagedienstes NSA offenkundig wurde? Überhaupt müsse doch die gesamte Sicherheitsarchitektur der Republik Kernanliegen der Liberalen sein.
Auch auf dem thematischen Tummelplatz der bisherigen FDP, der Wirtschaftspolitik, sieht Hirsch keine liberale Handschrift. Neoliberalismus werde heute mit rücksichtslosem „Manchestertum“ übersetzt, obwohl noch immer gelte: „Eine freie liberale Gesellschaft ohne soziale Verantwortung ist mörderisch.“ Hirsch wünscht sich eine FDP, die Millionenexzesse in Chefetagen eindämmt, in dem sie Gehälter ab einer bestimmten Größenordnung als Gewinnentnahmen steuerlich schlechter stellt und die Managerhaftung verschärft.
Staatlich finanzierte Grundrente
Das Etikett „bürgerliche Partei“ stört jemanden wie Hirsch. Auch Geringverdiener seien Bürger, die dem Liberalismus nicht egal sein können. Wo die FDP herkommt, zeige der sogenannte „Mischnick-Plan“ für eine staatlich finanzierte Grundrente, die der damalige FDP-Bundesminister vor 50 Jahren formulierte. Hirsch kann auch nichts Liberales daran finden, dass in Bangladesch Frauen und Kinder unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften müssen, „damit wir einen Euro weniger fürs T-Shirt bezahlen müssen“.
Auch interessant
Schließlich die Europapolitik. Die FDP hatte sich in ihrem Wahlprogramm für einen zeitlich begrenzten Euro-Rettungsmechanismus ausgesprochen, dies aber auf den Marktplätzen unerwähnt gelassen. „Wie kann es eine liberale Partei richtig finden, dass eine europäische Troika gewählten Regierungen in Südeuropa vorschreibt, was sie innenpolitisch zu tun haben“, fragt sich Hirsch.
Kritik an Euro-Rettungspolitik
Er hatte 2011 die FDP-internen Kritiker an der Euro-Rettungspolitik vergeblich in einem Mitgliederentscheid unterstützt. Trotzdem steht für ihn fest: „Das Europäische Währungssystem funktioniert so nicht und ist auch nicht der erhoffte Kitt für die politische Union.“
Die eurokritische „Alternative für Deutschland“ (AfD) nimmt Hirsch ernst, hält sie aber noch für eine Ein-Thema-Partei. Einem konsequent durchdeklinierten Liberalismus, der sich nicht länger zur Funktionspartei verzwergen lässt, könnten solche Strömungen auf Sicht nicht gefährlich werden. „Da bin ich ganz sicher. Selbst“, sagt Burkhard Hirsch, „wenn ich selbst das nicht mehr erleben werde.“