Essen. Die Alternative für Deutschland (AfD) hat für eine Überraschung gesorgt. Sie kämpfte sich an die Fünf-Prozent-Hürde nicht nur heran. Am frühen Abend war sogar offen, ob die Euro-Kritiker nicht – dann mit einer zweistelligen Abgeordnetenzahl – im Bundestag vertreten sein könnten.

Ein nicht zu fassendes Unbehagen hatte sich bei den etablierten Bundestagsparteien seit etwa zehn Tagen breitgemacht – dass eine Veränderung in der Luft liegen könnte, dass die bisherige Wahlarithmetik, Rot-Grün hier und Schwarz-Gelb dort, ihre Grenzen erreicht hat.

Schuld daran waren nicht nur die nach den Bayernwahlen drängenden und berechtigten Fragen nach dem Schicksal der FDP und die drohenden Verluste der Grünen. Noch offener: Was ist mit Luckes Alternative für Deutschland (AfD)? Können die drei Prozent stimmen, die seit Monaten der Anti-Euro-Partei zugerechnet werden? Würde die Unbekannte dieser Wahl, lange unter „ferner liefen“ verbucht, den Sprung ins Parlament schaffen?

„Fünf Prozent für die AfD sind möglich“, sagte noch Samstagmorgen ein führender CDU-Kopf aus dem Ruhrgebiet an einem der zahllosen Kampagnenstände an Rhein und Ruhr. Er war auf der richtigen Fährte. Die AfD hat unangemeldet für die Überraschung gesorgt. Sie kämpfte sich an die Fünf-Prozent-Hürde nicht nur heran. Am frühen Abend war sogar offen, ob die Euro-Kritiker nicht – dann mit einer zweistelligen Abgeordnetenzahl – im Bundestag vertreten sein könnten.

Luckes unbekannte Partei

Einer der Sieger nach Punkten heißt also: Bernd Lucke, 50, Wirtschaftswissenschaftler aus Hamburg. Einst Berater für die Weltbank war er drei Jahrzehnte Mitglied der CDU. Sein Programm: „Wir wollen den Euro als Währung ablösen. Er spaltet Europa, statt seine Einigung voranzubringen“. Doch sonst bietet seine Neugründung, die eigentlich erst 2014 fürs Europaparlament kandidieren wollte, sehr wenig an Fixpunkten. Die Partei scheint zudem Probleme mit Zuwanderungen aus dem rechtsextremen Spektrum zu haben. Vor allem lockte sie Nichtwähler. 26 Prozent holte sie aus diesem Lager, weitere 22 Prozent von der Union und je 12 Prozent von FDP und SPD.

Gewinner und Verlierer

Schwarz-Gelb erlebt Triumph und Absturz: Während die Union mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ...
Schwarz-Gelb erlebt Triumph und Absturz: Während die Union mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ... © REUTERS
... bei der Bundestagswahl am Sonntag ...
... bei der Bundestagswahl am Sonntag ... © REUTERS
... klar stärkste Kraft wurde,
... klar stärkste Kraft wurde, © dpa
... verpasste die FDP erstmals den Einzug in den Bundestag.
... verpasste die FDP erstmals den Einzug in den Bundestag. © dpa
Laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis erhielten CDU und CSU zusammen 41,5 Prozent der Stimmen (plus 7,7 Prozentpunkte im Vergleich zu 2009).
Laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis erhielten CDU und CSU zusammen 41,5 Prozent der Stimmen (plus 7,7 Prozentpunkte im Vergleich zu 2009). © dpa
Merkel sprach von einem
Merkel sprach von einem "super Ergebnis" und bedankte sich für das Vertrauen der Wähler. Zugleich ... © Getty Images
... sicherte sie mit Blick auf die neue Stärke der Union zu:
... sicherte sie mit Blick auf die neue Stärke der Union zu: "Wir werden damit verantwortungsvoll und sorgsam umgehen". © AFP
Ihr bisheriger Bündnispartner FDP hingegen scheiterte mit 4,8 Prozent (minus 9,8) an der Fünfprozenthürde und wird zum ersten Mal seit Bestehen des Bundestags nicht im Parlament vertreten sein.
Ihr bisheriger Bündnispartner FDP hingegen scheiterte mit 4,8 Prozent (minus 9,8) an der Fünfprozenthürde und wird zum ersten Mal seit Bestehen des Bundestags nicht im Parlament vertreten sein. © REUTERS
Entsetzen herrschte bei der FDP. Parteichef Philipp Rösler ...
Entsetzen herrschte bei der FDP. Parteichef Philipp Rösler ... © dpa
... kündigte politische Konsequenzen an.
... kündigte politische Konsequenzen an. "Das ist die bitterste, die traurigste Stunde in der Geschichte dieser Freien Demokratischen Partei", sagte er. © Getty Images
"Es sei "eine schlimme Stunde für die FDP", ergänze Spitzenkandidat und Fraktionschef Rainer Brüderle. © dpa
Die FDP hatte bis zuletzt um Leihstimmen von Unions-Anhängern geworben, Merkel hatte dies jedoch abgelehnt.
Die FDP hatte bis zuletzt um Leihstimmen von Unions-Anhängern geworben, Merkel hatte dies jedoch abgelehnt. © AFP
Zweitstärkste Kraft mit deutlichem Abstand zur Union wurde die SPD mit 25,7 Prozent der Stimmen (plus 2,7).
Zweitstärkste Kraft mit deutlichem Abstand zur Union wurde die SPD mit 25,7 Prozent der Stimmen (plus 2,7). © dpa
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte, seine Partei habe
SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sagte, seine Partei habe "nicht das Ergebnis erzielt, das wir wollten". Er gratulierte ebenso ... © dpa
...wie SPD-Chef Sigmar Gabriel der Kanzlerin zu ihrem Wahlsieg.
...wie SPD-Chef Sigmar Gabriel der Kanzlerin zu ihrem Wahlsieg. © dpa
"Wir haben verloren. Das ist bittere Realität", sagte Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin. © Getty Images
Ko-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt kündigte eine
Ko-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt kündigte eine "klare und sehr ehrliche Analyse" an. Koalitionsspekulationen ... © dpa
... lehnte auch Trittin ab, sagte aber:
... lehnte auch Trittin ab, sagte aber: "Wir machen das von der Sache abhängig." © Getty Images
Linksfraktionschef Gregor Gysi verwies darauf, dass seine Partei ...
Linksfraktionschef Gregor Gysi verwies darauf, dass seine Partei ... © dpa
... trotz Verlusten die drittstärkste Kraft im neuen Bundestag sei.
... trotz Verlusten die drittstärkste Kraft im neuen Bundestag sei. © dpa
Partei- und Fraktionsvize Sahra Wagenknecht sagte der Online-Ausgabe der
Partei- und Fraktionsvize Sahra Wagenknecht sagte der Online-Ausgabe der "Mitteldeutschen Zeitung", Linke und SPD könnten nun Partner sein. Dafür müssten die Sozialdemokraten allerdings ihren "Agenda-2010-Kurs" beenden. Ihre Partei werde nicht zu Gesprächen auffordern - "die SPD muss auf uns zukommen", sagte Wagenknecht. © dpa
AfD-Spitzenkandidat Bernd Lucke wertete das Ergebnis seiner Partei als Denkzettel für ...
AfD-Spitzenkandidat Bernd Lucke wertete das Ergebnis seiner Partei als Denkzettel für ... © Getty Images
... die etablierten Parteien.
... die etablierten Parteien. "Wir haben hier ein kräftiges Zeichen des Widerspruchs gesetzt", sagte er. Die AfD will den Austritt Deutschlands aus der europäischen Währungsunion. © REUTERS
Die Wahlbeteiligung lag bei 71,5 Prozent und damit 0,7 Prozentpunkte höher als vor vier Jahren. Insgesamt konnten sich 61,8 Millionen Wahlberechtigte zwischen 34 Parteien entscheiden.
Die Wahlbeteiligung lag bei 71,5 Prozent und damit 0,7 Prozentpunkte höher als vor vier Jahren. Insgesamt konnten sich 61,8 Millionen Wahlberechtigte zwischen 34 Parteien entscheiden. © dpa
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Für die Christdemokraten ist dieser Erfolg höchst unangenehm: Ist die AfD für die Union das, was Linke und Grüne für die SPD längst wurden – eine kleine, stimmenraubende Konkurrenz auf Dauer?

Als die erste Hochrechnung 18.14 Uhr über die Bildschirme gingen, schien klar: Angesichts der starken Bewegungen unter den Kleinen – auch die Grünen haben nach „Veggie day“ und Steuerdebatten heftige Einbußen zu verzeichnen und sind jetzt hinter den Linken platziert – hält offenbar nur das Bündnis der beiden Großen Deutschlands Regierungsfähigkeit aufrecht. Angela Merkels dritte Amtszeit scheint, nach einem Stimmenzuwachs von mehr als acht Prozent seit 2009 für die Union, gesichert.

Doch kommt es dazu, wird eine „große“ Koalition selten aus zwei so unterschiedlich großen Fraktionen gebildet: den übermächtigen CDU und CSU, die mit mehr als 42 Prozent an Kohls Regierungszeit anknüpfen. Und eine SPD, die im Endspurt zwar noch knapp drei Prozentpunkte im Vergleich zur letzten Wahl zulegen können, aber mitten im Käfig der 20 Prozent-Sphäre hängen geblieben ist.

Gratulation für Merkel

Stefan Weil, Ministerpräsident in Niedersachsen, gestand dann auch als erster nach einer „Gratulation für Frau Merkel“ ein, dass „wir das Ziel Rot-Grün nicht erreichen konnten“. Sozialdemokrat Weil forderte die CDU-Vorsitzende und Kanzlerin unzweideutig auf, den Gesprächsfaden mit seiner Partei aufzunehmen. Unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Personen die Sozialdemokraten ins Boot steigen, bleibt etwas offen. Erst am nächsten Freitag wollen sie bei einem Parteikonvent ihre Entscheidungen treffen – personell wie inhaltlich.