Washington. Es war der folgenschwerste Anschlag in den USA seit dem 11. September 2001: 13 Menschen starben, als 2009 ein Islamist auf der Armee-Basis Fort Hood in Texas um sich schoss. Nach vielen Verzögerungen startet am Dienstag der Prozess. Dem Amokläufer droht die Todesstrafe - den Opfern ein Nervenkrieg im Gericht.
Für Opfer schwerer Gewalttaten ist die Begegnung mit dem Täter im Gerichtssaal oft schwerer zu verkraften als das eigentliche Trauma. Was an diesem Dienstag auf Sergeant Alonzo Lunsford Jr. wartet, ist noch eine Leidensstufe darüber. Am 5. November 2009 wurde dem heute 46-jährigen von einem islamistischen Amokläufer auf der Armee-Basis Fort Hood in Texas in den Kopf und fünfmal in den Körper geschossen. Lunsford stellte sich erst tot, floh dann und wurde erneut angeschossen. Er ist seither auf einem Auge blind.
13 Menschen starben bei dem folgenschwersten Terror-Anschlag auf amerikanischem Boden seit dem 11. September 2001. Über 30 wurden schwer verletzt. Der Täter, Major und Militär-Psychiater Nidal Malik Hasan, steht nach vielen Verzögerungen ab Dienstag vor dem Militärgericht. Dem 42-jährigen bekennenden Radikal-Islamisten droht die Todesstrafe, Lunsford und anderen Zeugen ein Nervenkrieg.
Angeklagter Hasan verteidigt sich selbst
Hasan hat sämtliche Verteidiger mürbe gemacht. Er wird als sein eigener Anwalt auftreten und während des auf einen Monat angesetzten Verfahrens auch jene ins Kreuzfeuer nehmen, die er vor vier Jahren binnen weniger Minuten mit einer halbautomatischen Pistole fast erschossen hätte.
Womit nur eine der vielen Besonderheiten erwähnt ist, die den nach Experten-Meinung spektakulärsten Militär-Prozess seit 1971 ausmachen. Damals musste sich US-Lieutenant William Calley Jr. für das Vietnam-Kriegs-Massaker von My Lai verantworten, bei dem im März 1968 über 500 Zivilisten ermordet worden waren.
Gesinnung hinter der Militär-Uniform versteckt
In Hasan kriegt es die Militär-Justiz mit einem von manchen Gutachtern hochintelligent, von anderen Zeugen paranoid genannten Mann zu tun, der seine Gesinnung lange Zeit erfolgreich hinter der Armee-Uniform zu verstecken verstand.
Vor seiner Stationierung im Sanitätsbereich der Militärbasis in Texas war der Sohn palästinensischer Einwanderer, der 1970 in Arlington im Bundesstaat Virginia geboren wurde, im Walter-Reed-Militärkrankenhaus in Washington tätig. Die US-Armee finanzierte ihm dort eine Ausbildung zum Arzt und Psychiater. Hasan behandelte reihenweise Kriegs-Veteranen aus Afghanistan und dem Irak, die mit post-traumatischem Stress-Syndrom von ihren Einsätzen zurückgekehrt waren.
E-Mail-Kontakt zu Terror-Führer al-Awlaki
In dieser Zeit, so sagt er über sich selbst, sei die Überzeugung gewachsen, etwas gegen die amerikanischen Besatzer in der muslimischen Welt unternehmen zu müssen. Wörtlich sagte Hasan bei seinen Vernehmungen, er habe die Taliban und deren Anführer Mullah Omar „beschützen“ wollen.
Nach dem Amoklauf ermittelte die Militärpolizei, dass Hasan per E-Mail zwei Dutzend Mal Kontakt mit dem seinerzeit im Jemen lebenden Terror-Führer Anwar-al-Awlaki hatte. Awlaki, der - obwohl amerikanischer Staatsbürger - im Herbst 2011 bei einem US-Drohnenangriff im Jemen hingerichtet wurde, und Hasan besuchten gemeinsam die Dar-al-Hijrah-Moschee in Falls Church bei Washington. Dort hatten auch drei der Attentäter des 11. September 2001 gebetet.
Gerichtssaal wurde für Prozess zum Hochsicherheitstrakt
Für Militär-Richterin Tara Osborn und die 13-köpfige Jury stellt der Fall eine gewaltige Herausforderung dar. Einerseits sprechen die Fakten eine klare Sprache: der Täter hat sich bekannt, es gibt Dutzende Zeugen. Andererseits darf sich die auf Todesstrafe abzielende Anklage keinerlei Formfehler erlauben.
Hasan, der bei der Schießerei 2009 verwundet wurde und seither querschnittsgelähmt ist, wollte sich schuldig erklären. Militärvorschriften verhindern jedoch die Annahme eines Schuldbekenntnisses, das zur Todesstrafe führen könnte. Hasan kündigte an, im Prozesses den Nachweis führen zu wollen, dass Amerika in Afghanistan einen „illegalen Krieg“ geführt hat.
Hasan wird mit dem Helikopter aus dem Gefängnis eingeflogen
Dass die Armee bisher fünf Millionen Dollar für den Fall ausgegeben, den Gerichtssaal aufwändig zum Hochsicherheitstrakt ausgebaut hat und Hasan jedes Mal mit dem Helikopter aus einem nahegelegenen Gefängnis eingeflogen wird, widerstrebt vielen Militärangehörigen. Sie erhoffen die Todesstrafe für den bärtigen Rollstuhlfahrer.
Wissend, dass es der erste Armee-Angehörige seit über 50 Jahren wäre, bei dem die Maximalstrafe verhängt und vollstreckt würde. 1961 wurde John Bennett in Fort Leavenworth gehängt. Der Soldat hatte ein 11-jähriges Mädchen in Österreich vergewaltigt und fast ermordet. In der Militärbasis in Kansas sitzen derzeit fünf Soldaten im Todestrakt, einer davon seit 24 Jahren.
Juristen erwarten langwierige Widerspruchsverfahren
Im Fall Hasan gehen Juristen davon aus, dass der Angeklagte im Fall der Maximalstrafe 15 Jahre Zeit hätte für diverse Widerspruchsverfahren bis hin zum Obersten Gerichtshof. Am Ende hätte der dann amtierende US-Präsident (oder eine Präsidentin) als „Commander in Chief“ das letzte Wort. „Die Militärgerichtsbarkeit steht unter Legitimationszwang“, sagt der Bostoner Militärverteidiger Victor Hansen.
Für Sergeant Lunsford ist das nebensächlich. Wie er so sehen auch andere Opfer und deren Angehörige mit Unverständnis, dass der Amoklauf von Fort Hood im Verteidigungsministerium unter „Gewalt am Arbeitsplatz“ firmiert. Und nicht als Beispiel für das Unheil, zu dem „homegrown terrorists“, Terroristen, die in Amerika geboren, aufgewachsen und sozialisiert wurden, fähig sind.
Anders als Hasan wurde Lunsford nicht jede Unterstützung zuteil. Während seiner Krankenhaus-Rehabilitation, so berichtete der Veteran der „New York Times“, pfändete die Armee seinen Sold. Die Kosten für die Operation, mit der eine Kugel aus seinem Rücken entfernt wurde, musste Lunsford selber tragen.