Boston. . Keine Warnungen, keine Hinweise, keine Bekennerschreiben – die Behörden tappen bei der Suche nach den Hintermännern des Anschlags im Dunkeln. Das FBI und Experten vermuten die Täter im Dunstkreis von Islamisten - oder eher rechtsgerichteten Hassgruppen.
„Wir finden heraus, wer das war. Wir werden sie zur Rechenschaft ziehen. Die Täter werden die ganze Wucht der Justiz zu spüren bekommen“, sagte US-Präsident Obama drei Stunden nach der Katastrophe. Bei seiner ersten Ansprache im Weißen Haus vermied er bewusst das Wort „Terror-Anschlag“, um Vorverurteilungen zu vermeiden.
Am Dienstag holt der Staatschef das nach, sprach von einem "feigen und abscheulichen" Terror-Akt. Aber wer steckt dahinter? Wie wurden die Bomben gezündet? Obama muss passen. Wir arbeiten daran, ist sein Signal. Noch dominiert Rätselraten. Die am Montagabend angeworfene Ermittlungsmaschine, die sämtliche Sicherheits-Organe und Geheimdienste in Anspruch nimmt, hat bisher öffentlich erkennbar keine brauchbare Spur ausgespuckt.
Es gibt noch kein Bekennerschreiben
Was man weiß: Es gab vorher keine Warnungen und keine Alarmsignale. Und es gibt bisher kein Bekennerschreiben, nicht mal Trittbrettfahrer. Sagen die Behörden. Erste Meldungen über einen saudischen Studenten, der sich durch Weglaufen vom Tatort verdächtig gemacht habe und in Gewahrsam sei, wurden noch in der Nacht von Offiziellen dementiert.
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Ergebnisse über eine Hausdurchsuchung in Bostoner Vorort Revere liegen bisher nicht vor. Dass mehr als zwei Sprengsätze im Spiel gewesen sein sollen, wurde gestern endgültig zurückgewiesen. Die Suche nach einem dunkelhäutigen Mann mit zwei Rucksäcken, der in Tatortnähe auffällig wurde, brachte bisher auch nichts ein.
FBI ermittelt in alle Richtungen
Die Bundespolizei FBI ermittelt, mit Unterstützung von Experten der New Yorker Polizei, nach der Tragödie in alle Richtungen und setzt dabei mit extra eingerichteten Telefon-Hotlines offensiv auf die Mithilfe der Bürger. Zwei Stränge ragen dabei heraus: Einzelgänger, die von dem islamistischen Terrornetzwerk El Kaida inspiriert worden sein könnten. Und militante, rechtsradikale Staatsverächter und Regierungsfeinde made in USA.
Es wäre nicht das erste Mal, das Vertreter des zweiten Lagers große Sportveranstaltungen mit finstersten Absichten aufsuchen. Ende Juli 1996 zündete der radikale Abtreibungs- und Regierungsgegner Eric Rudolph bei den Olympischen Spielen von Atlanta eine Bombe. Zwei Tote und 111 Verletzte waren damals im Centennial Olympic Park zu beklagen.
Theorien, die einen islamistischen Hintergrund ausschließen, stützen sich vor allem auf das Datum. Der 15. April ist in Massachusetts ein historisch wichtiger Feiertag. Am „Patriots Day“ wird mit Volksfesten den Anfängen der amerikanischen Befreiung von den Engländern im Jahr 1775 gedacht.
Da der 15.4. zeitgleich auch der erste wichtige Tag im Jahr für alle Steuerzahler und die Finanzbehörde IRS ist, mutmaßen Experten in Geheimdienstkreisen, könnten politisch Extremisten das Datum als „Bühne genutzt haben für ihren Kampf gegen das als geldgierige geltende Washington“.
Höchststand bei den so genannten „Hass-Gruppen“
Das „Southern Poverty Law Center“, die am besten informierte Beobachter-Organisation der zersplitterten Radikalen-Szene in den USA, hat bis Ende 2012 einen neuen Höchststand bei den so genannten „Hass-Gruppen“ ermittelt - 800 Prozent mehr binnen vier Jahren. In Reihen dieser Sektierer, die landesweit verstreut und für schwere Kriminalität bis hin zu Mord verantwortlich sind, gilt der April als besonders symbolträchtig.
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In jenem Monat sprengte der Rechtsextremist Timothy McVeigh 1995 ein Regierungsgebäude in Oklahoma-City in die Luft. Dabei starben 168 Menschen, 800 wurden verletzt. Die Schul-Massaker von Columbine und Littleton datieren ebenfalls auf den vierten Monat des Jahres. Ebenso das tödliche Ende einer Sekte im texanischen Waco 1993.
Der andere Ermittlungsansatz geht von einer islamistischen Terror-Handschrift aus. Ob die Fahndung nach einem dunkelhäutigen Mann, der kurz vor den Explosionen in der Nähe des Tatorts auffällig wurde, dazu passt, ist unklar.
Die Zündung von zwei Sprengsätzen unmittelbar hintereinander bei einem von Menschenmassen besuchten Großereignis „repräsentiert auf jeden Fall die in Islamistenkreisen immer wieder propagierte Vorgehensweise gegen den Westen“, heißt es bei Experten der Denkfabrik Brookings. Das einschlägige Islamisten-Magazin "Inspire" ruft regelmäßig Muslime zu Attentaten auf und vertreibt im Internet kostenlos detailgenaue Anleitungen für den preisgünstigen Bau von Klein-Bomben.
Islam-Verbände sind betroffen
Der letzte Anschlag aus diesem Dunstkreis, der von den Behörden nicht wie ein gutes Dutzende andere rechtzeitig verhindert werden konnte, ereignete sich im November 2009 auf dem Militär-Stützpunkt Fort Hood/Texas. Dort erschoss der Armee-Psychiater Nidal Hassan 13 Menschen und verletzte 30 weitere schwer. Wie sich später herausstellte, unterhielt er enge Verbindungen zu El Kaida. Dutzende Islam-Verbände in vielen Teilen Amerikas bekundeten nach den Ereignissen in Boston öffentlich ihre Trauer und verurteilten die Bluttat. Stellvertretend für viele sagte eine bekannte pakistanische Diplomatin: „Bitte, lass‘ ein keinen Muslim gewesen sein.“