Essen. Für einige ist es Neuland, für andere ein alter Acker: das Internet. Michaela Merz, Bundesbeauftragte für Netzpolitik der Partei Alternative für Deutschland, bezeichnet sich auf einem Bild als “Mitgründerin des deutschen Internet“. Das sorgte vor allem bei Twitter für viel Spott und Häme.
Für die Bundeskanzlerin ist das Internet Neuland. Für Michaela Merz ist das Internet ein alter Acker. Sie hat ihren Pflug bereits seit Ende der 80er Jahre in die virtuelle Erde gerammt. Michaela Merz ist Bundesbeauftragte für Netzpolitik der Alternative für Deutschland. Sie hatte einen der ersten deutschen Online-Dienste - da wussten andere noch nicht einmal, wo Neuland liegt. Sie ist "Mitgründerin des deutschen Internet". Sagt sie.
Genau für diese vier Worte musste Michaela Merz in den letzten Tagen vor allem bei Twitter reichlich Spott und Häme einstecken. Sie hatte sie auf einem Bild veröffentlicht, das an ein Wahlkampfplakat erinnert. Dabei ist Merz gar nicht im Wahlkampf. "Ich will nicht in den Bundestag", sagt sie.
Spott und Häme auf Twitter für die "Mitgründerin des deutschen Internet"
<blockquote class="twitter-tweet"><p>Achtung! Achtung! Liebe <a href="https://twitter.com/search?q=%23Piraten&src=hash">#Piraten</a>, <a href="https://twitter.com/search?q=%23Nerds&src=hash">#Nerds</a> und Surfer! Das deutsche Internet wurde von dieser <a href="https://twitter.com/search?q=%23AfD&src=hash">#AfD</a>-Frau erfunden: <a href="http://t.co/yeNdraZEZ7">pic.twitter.com/yeNdraZEZ7</a></p>— Tobias Huch (@TobiasHuch) <a href="https://twitter.com/TobiasHuch/statuses/361967954864267264">July 29, 2013</a></blockquote>
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Mit Verlaub: Was ist das deutsche Internet? Wo beginnt und wo endet das deutsche Internet? Decken sich die Grenzen von Neuland mit nationalen Grenzen in der Realität? Und: Kann man das Internet einfach so mitgründen? Hat das Internet überhaupt einen Gründungszeitpunkt? Fragen über Fragen, die User bei Twitter beschäftigten.
Tim Reuter (@Timm3y) - Piraten-Politiker und erster Vorsitzender des Kreisverbands Kleve - kommentierte: "Diese Seite ist im deutschen Internet nicht verfügbar. Bitte wenden Sie sich bei Fragen an Michaela Merz. Das Tut uns Leid."
Ein werbefinanzierter Proxy sei nicht das "deutsche Internet"
Twitter-User Florian Brill (@FlorianBrill) schreibt: "Wir erinnern uns an 1991: Michaela Merz schließt das deutsche Internet an. Dann Eröffnungsfeierlichkeiten mit Kanzler Kohl und Feuerwerk." Und Timo Essner (@TimoEssner) kommentiert: "Naja, "mitbegründet" - get your quotes straight, man! Ich hab auch die deutsche Kultur mitbegründet (läuft noch)."
Tobias Huch (@TobiasHuch), Politiker bei den Jungen Liberalen, kritisiert: "1994 einen werbefinanzierten Proxy aufzustellen ist sicher nicht ein "(Mit)Gründen des deutschen Internet"."
1994 gründete Michaela Merz germany.net
Was hat Michaela Merz gemacht? Unter anderem hat sie 1994 germany.net gegründet, einen der frühen Online-Dienste in Deutschland. Die Besonderheit: Es gab einen kostenlosen Zugang. "Wir haben die gesamte Technologie entwickelt, um eine große Bürgerbeteiligung zu ermöglichen", erklärt Merz: "Wir haben angefangen, das Internet in Deutschland zu dem zu machen, was es ist." Germany.net finanzierte sich durch eingeblendete Werbung.
Schon vor der "WWW-Zeit" sei sie aktiv gewesen. 1988 habe sie ihren ersten Hack bei einer internationalen Großbank gemacht, so erzählt sie es. Merz beschreibt sich als "Netzpionierin". Und eben als "Mitbegründerin des deutschen Internet". Zur Kritik an der Formulierung sagt sie: "Den Begriff finde ich nicht falsch."
Vor dem World Wide Web gab es viele unterschiedliche Netzwerke
Man könne nicht von einer Gründung des Internets sprechen, erklärt Professor Werner Zorn. Denn es gebe seit 1969 viele Meilensteine in der Entwicklung des Internets.
Zorn hat selbst an einem dieser Meilensteine mitgearbeitet. 1984 brachte er an der Uni Karlsruhe den ersten deutschen Knotenpunkt an das CSNet. Dieses war die "Brücke zwischen früheren vereinzelten Netzprojekten und dem späteren kooperativen Verbund einer weltweit durchgängigen Netzinfrastruktur, wie sie das Internet heute darstellt."
Damals, mit CSNet, waren die Wissenschaftler aus unterschiedlichen Ländern hauptsächlich per Mail verbunden.
Die Geschichte des Internets - Jahrzehnte der Entwicklung
Generell gehen Wissenschaftler von unterschiedlichen Phasen in der Geschichte des Internets aus: In einer frühen Phase trieben vor allem militärische Einrichtungen die Entwicklung von Netzprojekten voran.
In einer mittleren Phase engagierten sich auch Wissenschaftler an Universität verstärkt - dazu zählen zum Beispiel in Deutschland Werner Zorn und sein Team in Karlsruhe, aber auch ein Netzprojekt der TU Dortmund.
In der nächsten Phase, circa ab den 1990er Jahren, kommt es zu einem weltweiten Netz, dem World Wide Web, und auch zu einer Kommerzialisierung, die einzelne Dienste in einzelnen Ländern vorantrieben.
Dass das Internet zu dem geworden ist, was es heute ist, lässt sich auf eine Entwicklung zurückführen, die über Jahrzehnte stattfand. Daran waren viele Menschen aus unterschiedlichen Ländern beteiligt.
Ziel erreicht - jetzt weiß jeder, dass Michaela Merz Netzpolitik macht
Das World Wide Web entstand übrigens am CERN in der Schweiz, sein "Gründer" heißt Tim Berners-Lee.
Während die Twitter-Gemeinde sich fleißig lustig macht, reagiert eine ganz gelassen: Michaela Merz. Ihr Ziel habe sie erreicht. Nun wisse jeder, welche Meinung sie zur Spionage durch ausländische Geheimdienste habe - darum geht es nämlich eigentlich auf dem Bild. "Da muss man schon mal mit dem Klotz draufhauen, damit die Leute das zur Kenntnis nehmen." Ganz nach dem Motto: Neues aus Neuland.