Essen. . Facebook, Twitter und Co führen nicht direkt zu mehr Demokratie und Beteiligung an politischen Prozessen. Das ist ein Ergebnis einer Untersuchung von Medienexperten im Auftrag der Otto Brenner Stiftung. „Politische Partizipation in den sozialen Medien ist ein Mythos“, meist bleibe es bei Verlautbarungen.
Die Welt ist ein globaler Marktplatz. Jeder kann mitreden, jeder sich überall einmischen – Dank Internet, Facebook, Twitter & Co. Schon sehen manche am Horizont eine Mitmachdemokratie heraufziehen. Doch die Hoffnung scheint zu trügen.
Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Wirtschafts- und Interessenverbände nutzen zwar die sozialen Medien, doch offenbar rufen sie meist nur etwas in den globalen Debattierplatz hinein, interessieren sich aber kaum dafür, ob das Volk antwortet.
Klassische Medien gewinnen
So könnte man die Ergebnisse einer Studie zur Online-Kommunikation zusammenfassen, die im Auftrag der gewerkschaftsnahen Otto Brenner Stiftung untersuchte, wie Parteien und Verbände soziale Medien einsetzen. Mehr als 8500 Facebook-Einträge von 35 Verbänden wurden dafür ausgewertet. Zudem wurden alle im Bundestag vertretenen Parteien sowie die Piratenpartei zu ihrer Online-Strategie befragt.
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Fazit: Sie nutzen die soziale Medien zwar, aber vorwiegend für Verlautbarungen und Einweg-Kommunikation. Die erhoffte Beteiligung, die mögliche Partizipation der Menschen an Entscheidungs- und Meinungsbildung sei ein Mythos.
Auch der Bundestagswahlkampf zeige, dass Parteien mit symbolischen Partizipationsangeboten „Beteiligung inszenieren“ würden, ohne selbst die Kontrolle abzugeben. Trotz wachsender Relevanz der sozialen Medien würde die Berichterstattung in den klassischen Massenmedien wie Radio, Fernsehen und Zeitungen nichts von ihrer Bedeutung verlieren, das Gegenteil sei der Fall.
„Unsoziale Medien“
Wenn Deutschlands Verbände und Parteien in Facebook, Twitter und anderen Kanälen aktiv sind, „werden soziale Medien oft zu unsozialen Medien“, weil eine „Sackgassen-Kommunikation“ betrieben werde. „Viele Verbände versprechen eine neue Mitmachkultur, mehr Transparenz und damit eine lebendigere Demokratie.
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In der grauen Wirklichkeit finden sich vor allem Einbahnstraßen-Angebote“, sagt Olaf Hoffjann, Leiter der Studie und Professor für Medien und Marketing an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften in Braunschweig. Keine Spur von Transparenz also.
Die schon vor Jahren geäußerte Vermutung, die klassischen Massenmedien würden durch den Durchmarsch der Online-Kommunikation an Bedeutung verlieren, erwies sich hingegen als falsch, so Hoffjann. Alle befragten Personen hätten die besondere Bedeutung der Massenmedien betont. „Politische Themen finden in der Politik nur statt, wenn sie massenmedial stattfinden und umgekehrt“, sagte ein Studienteilnehmer. Und: „Wir brauchen die klassischen Medien, weil sie nach wie vor meinungsbildend sind.“ Die Beobachtung der Presse und die Zusammenarbeit mit den Medien habe daher weiter einen sehr hohen Stellenwert.
Chancen vergeben
Insgesamt aber würden die Chancen, über soziale Medien Themen in der Breite zu diskutieren und Mitglieder zu mobilisieren von Parteien und Interessenvertretern vertan, so die Studie. Ähnlich sieht es Wahlforscherin Andrea Römmele, Professorin an der renommierten Hertie School of Governance in Berlin.
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„Die Parteien schöpfen das Potenzial der sozialen Medien nicht aus“, sagte sie. Sie ermöglichten Rückmeldung, Meinung, Orientierung und Vernetzung. Römmele: „Es geht nicht nur darum, was die Parteien posten, sondern wie die Leute das kommentieren. Dies könnte den Dialog mit den Wählern befördern. Doch die Parteien haben Sorge, die Kontrolle über den Wahlkampf zu verlieren.“
„Es ist langweilig“
Auch die Wissenschaftlerin ist der Ansicht, dass weiterhin die klassischen Medien die Themen setzen – „Agenda-Setting“ heißt das Schlagwort. „Das ist die eine Sache. Sich dazu zu positionieren, eine andere. Dass soziale Medien der Meinungsbildung dienen können, erkennen die politischen Parteien noch zu wenig.“
Aber demokratische Beteiligung sei nicht nur eine Frage von Medienkampagnen oder Online-Foren, so die Parteienforscherin. Man müsse sich generell die Frage stellen, woran es denn liegt, dass sich die Bürger so wenig in den Wahlkampf einmischen. Römmeles Antwort: „Weil es zu langweilig ist.“ Der bisherige Bundestagswahlkampf sei ein lähmendes Schauspiel. „Über was sollen wir reden? Worüber sollen wir uns aufregen? Es fehlt ein sexy Thema!“ Soziale Medien hin oder her.