Amman/Zarqa. . Der Bürgerkrieg in Syrien treibt immer mehr Menschen in das Nachbarland Jordanien. Sie leben dort in Flüchtlingslagern, vor allem aber in den Armutsvierteln der Städte. Matthias Maruhn hat sie besucht und ihre Geschichten aufgeschrieben.
Die Termine für Friedensgespräche oder einen Waffenstillstand in Syrien wurden in den vergangenen Wochen immer weiter nach hinten ins Jahr verschoben. Das bedeutet jeden Tag neue Tote, schon 100 000 Menschen haben ihr Leben gelassen, das bedeutet jeden Tag 6000 Flüchtlinge mehr, die das Land verlassen, knapp zwei Millionen sind es schon. Ich habe mit einigen von ihnen in Jordanien gesprochen.
Samya ist 39 Jahre alt, sei hat drei Kinder und kann ihre Geschichte nicht ohne Tränen erzählen. Nicht wegen des Todes ihres Mannes, der liegt elf Jahre zurück, es sind die Ereignisse des letzten Jahres.
Samya und ihre Familie - in Amman
Die Familie lebte in einem Dorf nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus, als am 6. August 2012 Soldaten anrückten. Samyas Bruder, der sich um die Familie kümmerte, wurde aus dem Auto gezerrt und erschossen. Da hat Samya die Kinder genommen und ist geflohen. Zunächst nach Zataari, das große Camp im Norden Jordaniens, doch dort herrschte das Recht des Stärkeren. „Die friedlichen Leute bekamen nichts, die aggressiven alles. Da sollten meine Kinder nicht leben.“ Sie zieht weiter nach Amman, in die Hauptstadt.
Jetzt wohnt sie in zwei Zimmern in einem ärmlichen Viertel im Osten der Stadt und weiß nicht mehr weiter. „Ich hatte meinen Goldschmuck von der Hochzeit mitgenommen und nach und nach verkauft.“ Natürlich hat sie viel zu wenig dafür bekommen, aber das kennen alle Flüchtlinge der Welt, Krämerseelen und Beutelschneider haben ein Näschen für die Not.
150 Dinar muss sie an Miete bezahlen, etwa 170 Euro. Die Hilfsorganisation Care hat die ersten beiden Mieten übernommen. Zweimal im Monat gibt es vom UNHCR (Flüchtlingskomitee der UN) Essensgutscheine. Reichen die? Samya schämt sich ihrer Situation und sagt nur: „Wir essen nicht viel.“
Ihre Tochter Shefaa, gerade 15 geworden, hat kurze Zeit in einem Laden geholfen und ein paar Dinar verdient. Aber sie sollte dann bis zehn Uhr abends arbeiten und der lange Heimweg durch die Nacht war der Mutter zu riskant. „Ein 15-jähriges Mädchen....“ Shefaa sitzt jetzt den ganzen Tag zu Hause. Mit ihren Geschwistern. Die Schulen sind trotz Doppelschichten völlig überfüllt. Das Hauptproblem für die Mutter: „Keine Schule. Was soll da nur aus den Kindern werden.“
Shefaa sagt, was die Mutter denkt: „Wir wollen zurück. Da sind meine Familie und Freunde, meine Lehrer. Ich habe Heimweh.“ Die Tochter so reden zu hören, lässt Samya wieder weinen. „Wir wollen Frieden. Ihr müsst uns helfen, das Bluten zu beenden.“
Zwei Räume, 22 Frauen und Kinder - in Zarqa
Ich fahre weiter nach Zarqa, die zweitgrößte Stadt. In einem Hinterhof teilen sich 22 Frauen und Kinder zwei Räume. Ein paar Matratzen liegen herum, nicht genug für alle. Die Männer und Väter sind in Syrien, die Frauen sind verzweifelt. Weil sie nicht mehr genug zu essen haben, weil sie die Miete nicht bezahlen können. Der Vermieter will sie Ende Juli rausschmeißen. Und dann noch Fatima. Die 13-Jährige ist schwer krank. Die Mutter erklärt: „Es ist was mit dem Gehirn. Ein Stau. 500 Dinar kostet die Operation, haben sie in der Klinik gesagt. Wir haben: nichts.“
Ein kleiner Trost: Eine Care-Mitarbeiterin trägt die Familie in eine Liste ein. Eine einmalige Sofortunterstützung von rund 100 Dinar können sie nun bekommen. Das hilft. Für Fatima ist es zu wenig.
Drei Straßen weiter. Wieder zwei Räume: Annan (25) sitzt mit ihren sieben Schwestern, Mutter und Vater auf dem Boden, sie hebt ihre rechte Hand. Die Narben vom Durchschuss sind deutlich zu sehen. „Ein Sniper. Ich saß im Bus, als der Beschuss begann. Ich wollte die Hände hochheben, um die Ohren zu bedecken, da hat mich die Kugel getroffen.“ Die Wunde ist schnell geheilt, aber der Nerv ist verletzt. Ihre Hand zittert, den Daumen kann sie nicht mehr benutzen.
Für weitere Operationen fehlt das Geld, auch für ihren Vater, dessen linkes Auge durch einen Granatsplitter zerstört wurde. Die Mutter hat eine schwere Diabetes, sie kann nicht mehr laufen, die ganze Zeit hält sie eine Tablettenschachtel in den Händen. Die Packung ist leer.
Annan holt ihr Handy hervor, zeigt mir ein Foto. Das grausame Bild eines zerstörten Gesichtes. „Mein Bruder, er ist nur 15 geworden. Soldaten.“ Sie blickt auf: „Jetzt wurde uns die Wohnung gekündigt. Nach dem Ramadan müssen wir raus. Wir sind alle sehr verzweifelt.“
Noch 30 000 Irak-Flüchtlinge
Jordanien ist ein gastfreundliches Land. Jeder Tourist kann das bestätigen. Und auch alle Familien haben mir erzählt, dass sie häufiger von Nachbarn mit Essen versorgt wurden. Jetzt aber geht Jordanien in die Knie. Eine halbe Million Flüchtlinge sind zu viel für ein kleines Land.
Dazu noch die Irak-Flüchtlinge. Mindestens 30 000 leben in Amman. Wie Wesal, 55 Jahre alt und aus Bagdad, die im Irak ihren Sohn Ahmed durch eine Bombe verlor, ihre Tochter dann vor Jahren nach Amman schickte, vor zwei Jahren kam sie nach, als ihr Sohn Mustafa Bombensplitter ins Bein und in den Kopf bekam. Jetzt wartet die ganze Familie in einem Zwei-Zimmer-Kabuff auf Hilfe. Wie der lebende Beweis, dass das Elend Wurzeln schlagen kann.
Es gibt nur einen Unterschied zwischen den Flüchtlingen aus den Irak und aus Syrien. Die Iraker haben die Hoffnung aufgegeben, die Syrer wollen sofort in die Heimat zurück. Noch.