Nach Hohn und Spott gibt Merkel die Aufklärerin in Sachen Internet-Sicherheit
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Essen. Bundeskanzlerin Angela Merkel umschifft im ARD-Sommerinterview klare Kanten. Nur beim Thema Internet-Sicherheit prescht sie nach vorn und will die „Aufklärung“ der Bürger in Sachen Datensicherheit im Internet „vorantreiben“. Dabei war für sie vor kurzem das Internet noch “Neuland“.
Wenn die ARD auf der Spree-Terrasse im Regierungsviertel die Sessel herausstellt, wenn die Berliner Studio-Chefs Ulrich Deppendorf und Rainald Becker betont leger ohne Krawatte auftreten, dann weiß man: Es ist Sommerinterviewzeit. Diesmal ist die Kanzlerin geladen, deren schwarzes Sakko im Zusammenspiel mit dem Rot des Sesselleders blendend harmoniert.
Ein wohl kalkulierter Fingerzeig Angela Merkels auf die Große Koalition aus Union und SPD, mit der viele für die Zeit nach der Bundestagswahl am 22. September rechnen? Doch dazu später mehr.
Denn vorrangiges Thema des Tages ist die Abhöraffäre, enthüllt von Edward Snowden, der immer noch in Moskau ausharrt, die die Bundesregierung auf dem falschen Fuß erwischt hatte. Sollte man nun kräftig schimpfen auf den großen Bruder in Washington, der offenbar bei jedem Telefonat, bei jeder E-Mail, bei jeder SMS mithört bzw. mitliest?
Oder sollte man die peinliche Angelegenheit herunterspielen nach dem Motto: Wozu die Aufregung? Weiß doch im Grunde jeder, dass die jeweiligen Spionageabteilungen alles an Daten sammeln, was zu kriegen ist.
Merkel hatte sich in den letzten Wochen so verhalten wie man das von ihr kennt: Erst einmal in Deckung gehen, sehen wie die Sache sich entwickelt, um sich dann, wenn ein Trend erkennbar ist, an die Spitze der Bewegung zu setzen. Nur über ihren Regierungssprecher hatte sie ein bisschen Kritik an den USA transportieren lassen. Und jetzt?
Merkel rundet die Kanten ab
"Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Die amerikanischen Dienste müssen auf deutschem Boden deutsches Recht einhalten“, erklärt Merkel nun im Sommerinterview. Das klingt zumindest ein wenig nach klarer Kante, jedenfalls soll es wohl so rüberkommen. Allerdings: So ganz traut die Kanzlerin sich doch nicht, den Amerikanern den drohenden Zeigefinger zu zeigen. Denn schnell schiebt sie hinterher, sie habe bislang auch „keine Hinweise, dass die USA das nicht getan haben“. Damit wäre die Kante dann auch schnell wieder abgerundet.
Doch Deppendorf und Becker setzen nach und wollen wissen: Die NSA, jener amerikanischen Geheimdienst also, dem Whistleblower Edward Snowden das millionenfache Abhören privater Kommunikation vorwirft – ist diese NSA so geheim, dass selbst die deutsche Bundesregierung, die schließlich selbst über reichlich geheime Dienste verfügt, davon nichts wusste?
Die Antwort -- ein echter Merkel: „Was wir wissen, haben wir gesagt und was wir nicht wissen, bringen wir jetzt in Erfahrung.“ Man muss diesen Satz zweimal lesen, um seine ganze Inhaltslosigkeit genießen zu können.
Kanzlerin wagt sich an "Mission Impossible" in Sachen Datenschutz
Die Abhöraffäre hat auch die ohnehin aufgeladene Debatte um die Pläne der Bundesregierung für eine Vorratsdatenspeicherung neu entfacht. CSU-Chef Horst Seehofer - ohnehin stets bereit, Positionen zu räumen, wenn ihm das politisch opportun erscheint - hat bereits sein Herz für den Datenschutz entdeckt und rückt öffentlich von dem Vorhaben ab.
Und Merkel? Sie fordert erst einmal ein internationales Datenschutz-Abkommen. Deutschland habe zwar „ein tolles Bundesdatenschutzgesetz“, aber: „Wenn Facebook in Irland registriert ist, dann gilt das irische Recht, und deshalb brauchen wir hier eine einheitliche europäische Regelung." Wer könnte da etwas dagegen haben?
Dass solch eine europaweite Regelung eine "Mission Impossible" sein dürfte, sagt Merkel nicht. Als dann das Duo Deppendorf/Becker das Thema wechseln will, grätscht die Kanzlerin dazwischen. Sie wolle noch etwas sagen, da man schon beim Thema sei. Die Bundesregierung, verkündet Merkel, werde künftig die „Aufklärung“ der Bürger in Sachen Datensicherheit im Internet „vorantreiben“.
Familie Obama in Berlin
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Wie bitte? Ausgerechnet die Angela Merkel, die sich noch vor ein paar Tagen mit dem Satz „Das Internet ist für uns alle Neuland“ blamierte und dafür im Netz mit Hohn und Spott übergossen wurde, gibt nun die Aufklärerin in Sachen Web-Sicherheit?! Genau so meint die Regierungsschefin es. „Was kann ich verschlüsseln? Wie kann ich verschlüsseln?“ Für solche Fragen dürfen wir also auf einen Nachhilfeunterricht durch die Koalition freuen. Das kann lustig werden.
Ach ja. Da war ja noch die Sache mit dem schwarzen Sakko und den roten Sesseln. Wohl nur Zufall. Von einer Großen Koalition will Merkel nichts wissen. Die SPD wolle ja doch nur Rot-Rot-Grün, „man hat das in Nordrhein-Westfalen gesehen“. Dass in NRW SPD und Grüne allein regieren und die Linkspartei nicht einmal mehr im Düsseldorfer Landtag vertreten ist – egal. So eine Kanzlerin kann ja nicht alles wissen.
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