New York/Washington. Vor zehn Monaten wurde Malala Yousafzai von Taliban in Pakistan beinahe getötet. Gestern hielt die 16-Jährige vor den Vereinten Nationen ihre erste öffentliche Rede - als Botschafterin für Toleranz und bessere Schulbildung für 60 Millionen Kinder weltweit. Nach ihrem langen Leidensweg warb Malala für das Recht auf Ausbildung.

Im Swat-Tal, einer ebenso traumschönen wie lebensgefährlichen Gegend im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet, werden sich islamistische Fanatiker vor ihren Transistorradios auf die Zunge gebissen haben, als gestern über die Radiowelle der britischen BBC die Stimme von Malala Yousafzai durch den Lautsprecher drang.

An ihrem 16. Geburtstag stand die junge Frau am Rednerpult des Hauptsitzes der Vereinten Nationen in New York und las all jenen die Leviten, die Intoleranz und Rückständigkeit predigen. Mit fester Stimme warb die Pakistani bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach langem Leidensweg in bestem Englisch für das Ende kriegerischer Auseinandersetzungen ge­gen Zivilisten und das Recht auf Ausbildung. Im Anschluss übergab sie eine mit vier Millionen Unterschriften versehene Petition an UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon, die den Missstand von fehlenden schulischen Möglichkeiten für 60 Millionen Kinder weltweit aufgreift. Sie beantwortete die Fragen von 1000 eingeladenen Jugendlichen aus 80 Ländern und machte sich vertraut mit ihrer neuen Rolle – als globales Vorbild. Zehn Monate vorher hätte Malala im Traum nicht daran gedacht.

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Im Schulbus überfallen und fast getötet

Rückblick: In Mingora, der wichtigsten Stadt im Swat-Tal, beginnt sie im Alter von elf Jahren unter dem Pseudonym Gul Makai auf der Internetseite der BBC in ihrer Muttersprache Urdu Beiträge zu verfassen. Inspiriert durch seinen Vater Ziauddin, selbst Lehrer, plädiert das Kind für bessere Schulen, auch und gerade für Mädchen, und prangert immer wieder couragiert die Schandtaten der radikal-islamischen Taliban an. Den Steinzeit-Muslimen, die Musik und Tanz verabscheuen und Frauen und Mädchen für verwestlicht und verdorben halten, die zur Schule gehen oder sich frei bewegen, wurde die schwarzhaarige Nachwuchs-Aktivistin mehr und mehr zur Zielscheibe.

Im Oktober 2012 entlädt sich der Hass. Im Schulbus wird die damals 15-Jährige von selbst ernannten Gotteskriegern überfallen - und fast getötet. Die aus nächster Nähe abgefeuerten Kugeln in Kopf und Hals verfehlen nur um Millimeter lebenswichtige Gefäße. Malala überlebt das Attentat schwer verletzt, wird nach Großbritannien ausgeflogen, dort operiert und gepflegt. An ihrem Schicksal, an ihrem schulischen Fortkommen an der Edgbaston High School in Birmingham nehmen bis heute weltweit Millionen Menschen Anteil. Der frühere britische Premierminister Gordon Brown, heute Sonderbotschafter der UN für Bildung, nannte den in rosafarbene Landestracht gekleideten Teenager gestern „ein stolzes Symbol für Mut und Unerschrockenheit – und das mutigste Mädchen der Welt“.

Umjubelter Ehrengast

Der lautstark umjubelte Ehrengast gab sich gestern demütig: „Dieser Tag ist nicht mein Tag. Es ist der Tag eines jeden, der für seine Rechte aufsteht. Hier stehe ich, ein Mädchen unter vielen. Ich spreche für jene, die keine Stimme haben. Die Terroristen dachten, ihre Kugeln würde uns stumm machen. Heute gibt es Tausende wie mich, die für Gerechtigkeit und Frieden kämpfen. Die Extremisten fürchten Bleistifte und Bücher. Sie fürchten die Macht des Wissens“, sagte Malala, „lasst uns darum Bildung zu einer friedlichen Waffe machen.“

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Der Überfall hat Malala Yousafzai über Nacht in das Leben einer Prominenten katapultiert. Die Hollywood-Schauspielerin Angelina Jolie unterstützt ihr Anliegen. Im Herbst erscheint – für einen Vorschuss von knapp 2,3 Millionen Euro — im Verlag Weidenfeld/Nicolson ihre Biografie mit dem Titel „Ich bin Malala“. Auch unter den 259 Nominierungen, die jüngst in Oslo für den diesjährigen Friedensnobelpreis eingegangen sind, findet sich ihr Name.

Bei all dem halbwegs normal zu bleiben, fällt schwer. Zumal die Taliban in Pakistan das Mädchen weiter mit Morddrohungen behelligen. Zumal ihr VIP-Status in ihrer Heimat auch kritisch beargwöhnt wird. In New York betonte sie am Rande, dass seit 2009 über 800 Schulen in ihrer Heimat-Region attackiert wurden. Unterhalb des internationalen Medien-Radars würden bis heute Schulgebäude von den Taliban in Schutt und Asche gelegt.