Ankara. . Gehört die Türkei zu Europa? Die Frage ist derzeit so aktuell wie selten zuvor, denn Polizisten knüppeln Demonstranten nieder, und die Regierung Erdogan weist jede Kritik zurück. Diese Woche wollen die EU-Außenminister über die Eröffnung eines weiteren Kapitels in den Beitrittsverhandlungen beraten.
Gehört die Türkei zu Europa? Die Frage ist derzeit so aktuell wie selten zuvor. Diese Woche wollen die EU-Außenminister über die Eröffnung eines weiteren Kapitels in den Beitrittsverhandlungen beraten. Vor dem Hintergrund der brutalen Polizeieinsätze gegen friedliche Demonstranten in Istanbul und anderen türkischen Städten ist das keine leichte Entscheidung.
Die Frage, ob die Türkei zu Europa gehört, ist nicht neu. Sie wird nicht erst gestellt, seit der Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk in den 1920er Jahren die arabischen Schriftzeichen durch das lateinische Alphabet ersetzte, den Gregorianischen Kalender einführte und die Westbindung der Türkei zur Staatsdoktrin erhob. Schon im 19. Jahrhundert öffneten osmanische Sultane ihr Reich nach Europa. 1963 hat die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft mit dem Abschluss eines Assoziierungsabkommens ein Zeichen gesetzt. Die Türkei gehöre zu Europa, sagte der damalige Kommissionspräsident und CDU-Politiker Walter Hallstein.
Als Korridor für Erdgaslieferungen wird die Türkei immer wichtiger
Die Türkei habe sich mit der Niederschlagung der Proteste selbst disqualifiziert, sagen manche und plädieren dafür, die Verhandlungen zu beenden oder auszusetzen. Andere mahnen, gerade jetzt müsse die EU die demokratischen Kräfte stärken.
Es geht auch um handfeste Interessen. Die geostrategische Bedeutung der Türkei im Spannungsfeld zwischen Russland, dem Iran, dem Nahen Osten und Nordafrika ist heute größer denn je. Auch als Korridor für Erdgaslieferungen wird die Türkei immer wichtiger.
Wirtschaftlich hat die Türkei enorm an Gewicht gewonnen. Unter den größten Wirtschaftsnationen der Erde liegt sie auf Platz 17. Für Deutschland gehört sie zum Kreis der 20 wichtigsten Handelspartner.
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Die EU muss schon heute Weichen stellen
Dabei wissen ausländische Investoren wie türkische Wirtschaftsführer genau, dass die Türkei für eine EU-Vollmitgliedschaft auf absehbare Zukunft nicht in Frage kommt. Dennoch wollen sie die europäische Perspektive als Stabilitätsanker und Motor für demokratische Reformen am Leben erhalten – nach dem Motto: Der Weg ist das Ziel.
Unter Erdogan sind zwar keine großen Schritte auf diesem Weg zu erwarten. Für ihn ist die Europäische Union, die er noch in den 1990er Jahren als „christlichen Club“ geißelte, in dem die Türkei nichts verloren habe, keine politische Herzensangelegenheit.
Doch auch die Ära Erdogan wird nicht ewig dauern. Wenn sie zu Ende geht, hat die Türkei die Chance, ihren langen Weg nach Europa fortzusetzen. Aber die Weichen dafür muss die EU schon heute stellen.