Efrat/Jerusalem. . Die internationale Staatengemeinschaft bemüht sich wieder intensiver um einen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern. Eine Zweistaatenlösung soll am Ende der Verhandlungen stehen. Ein Besuch in einer jüdischen Siedlung im palästinensischen Westjordanland und in einem arabischen Stadtviertel von Ostjerusalem zeigt, wie illusorisch die Hoffnung auf Frieden ist. Jeder will ihn – aber auf die eigene Weise.
Von hier oben aus, einem der sieben Hügel, auf denen sich die jüdische Siedlung Efrat ausbreitet, ist am Horizont Bethlehem zu sehen. Am Fuß des Hügels entlang verläuft die neue Schnellstraße, links und rechts gesäumt von den Feldern der palästinensischen Bauern. Sie dürfen diese Straße nur mit einer Ausnahmegenehmigung befahren. Von hier oben lässt sich auf einen Blick erahnen, dass es so schnell keinen Frieden zwischen Israelis und Palästinensern geben kann. Egal, wie sehr sich die internationale Gemeinschaft um eine Zweistaaten-Lösung bemüht.
Man muss sich nicht in die Untiefen der Politik hineinarbeiten, um zu verstehen, wie kompliziert der Nahost-Konflikt ist. Es reicht völlig, sich mit Bob Lang und Adnan Ghith zu unterhalten. Lang lebt in Efrat. Ghith lebt in Silwan, einem arabischen Stadtteil in Ost-Jerusalem. Jeder hat seine ganz eigene Geschichte.
In Efrat – der Israeli
Efrat liegt gute zehn Kilometer südlich von Jerusalem im Westjordanland. Nach Auffassung der internationalen Gemeinschaft ist Efrat eine illegale Siedlung. Sie sieht aus wie einer dieser amerikanischen Vororte, die bis an die Grenze zur Sterilität penibel gepflegt sind. Adrette Häuser, ordentlich gestutzter Rasen, blitzblanke Mittelklasse-Autos, saubere Straßen, leuchtende Blumenrabatten, Bäume.
Es gibt hier in Efrat Kindergärten, Schulen, Einkaufsmärkte, Sportplätze und Synagogen. Ein privater Sicherheitsdienst schützt die 9500 Bewohner von Efrat vor Terrorattacken. Kinder, die eine auswärtige Schule besuchen, werden dorthin mit gepanzerten Bussen gefahren. „Ich könnte mir keinen besseren Ort zum Leben vorstellen“, sagt Bob Lang.
Bob Lang trägt auf dem Hinterkopf eine gehäkelte Kippa,was ihn als national-religiösen Juden ausweist. Er ist in New York aufgewachsen, seine Eltern entkamen als Kinder dem Naziterror in Deutschland. Seine Großväter wurden im Ersten Weltkrieg mit dem Eisernen Kreuz für ihre Tapferkeit ausgezeichnet, erzählt er. 1975 ist er nach Israel gezogen. 16 Jahre jung war er damals. Heute ist Bob Lang ein Sprecher der Siedlerbewegung. Einer der gemäßigten. Und er hat eine Mission. In seinem Wohnzimmer hantiert er mit vielen Karten, um zu erklären, warum die 200 jüdischen Siedlungen im israelisch besetzten Westjordanland nicht das Hindernis für den Frieden sind, als das sie internationale Gemeinschaft immer wieder bezeichnet.
Außer Israel hält kein Staat die jüdischen Siedlungen im Palästinensergebiet für rechtmäßig. Bob Lang hält das für absurd. Für ihn haben Juden das historisch begründete Recht, in diesem Landstrich zu siedeln. Lang nennt ihn „Judäa und Samaria“, so wie er zu biblischen Zeiten hieß. „Das Land hier ist heilig für mich.“ Das Wort „Siedlungen“ mag Lang nicht. Siedlungen sind vergänglich. Er spricht lieber von Gemeinden.
„Es gab hier vorher nie einen palästinensischen Staat“
Natürlich sind für Bob Lang Siedlungen wie sein Efrat auch über die Geschichtsschreibung hinaus legal. Jitzchak Rabin hat grünes Licht für die Besiedlung der Hügel gegeben, in den siebziger Jahren, als er das erste Mal israelischer Ministerpräsident war. Und „wir sind keine Besatzer, denn es gab hier ja vorher nie einen palästinensischen Staat“, argumentiert der Siedler.
Mit den arabischen – auch das Wort palästinensisch vermeidet er – Nachbarn verstehe man sich ausgezeichnet, sagt Lang, und eigentlich wollten alle Araber israelische Staatsbürger werden. Das müssten sie auch werden, wenn es nach Bob Lang ginge: Er ist ein Verfechter einer Einstaaten-Lösung. Das würde bedeuten: Ein Großisrael unter Einbeziehung des Westjordanlandes. „Einen jüdischen, demokratischen Staat“ will der Siedlersprecher. „Wir sind die freie Welt.“ Und wenn der internationale Druck zu stark wird? „Wenn wir keine Wahl haben, werden wir uns schützen.“ In Efrat sind sie stolz darauf, dass sie viele Rekruten für die israelische Armee stellen. Und dass jeder fünfte Soldat aus der Siedlung Offizier wird.
Bei den Parlamentswahlen in diesem Jahr wurde die rechte Siedlerpartei Habajit Hajehudi, „Jüdisches Heim“, viertstärkste Kraft. Sie ist Teil der Regierungskoalition. Ohne die Siedler geht nichts in Israels Politik.
In Silwan – der Palästinenser
Silwan wuchert entlang eines Hügels direkt gegenüber dem Tempelberg in Jerusalem, dem Berg, der Muslims und Juden gleichermaßen heilig ist. Dicht an dicht drängen sich die Häuser, sie sind oft ohne Baugenehmigung hochgezogen worden und aus israelischer Sicht damit illegal. Viele sind zum Abriss freigegeben. Schätzungsweise 40 000 Menschen leben hier, niemand weiß das so genau. Unter ihnen einige hundert Siedler, die sich mitten unter den Palästinensern niederlassen. Die Juden nennen Silwan Davidstadt. Eine Siedlerorganisation finanziert in Silwan archäologische Ausgrabungen.
Adnan Ghith sitzt mit einigen seiner Leute vor einem Imbiss. Er ist 37 und der für dieses Stadtviertel zuständige Fatah-Sekretär. Die Fatah gilt unter den großen Palästinenser-Organisationen als gemäßigt. Sieben Mal wurde Ghith bereits von den Israelis inhaftiert, acht Jahre hat er schon im Gefängnis verbracht, erzählt er. „Wir sind das einzige Land unter Besatzung auf der ganzen Welt“, sagt er, und seine Leute berichten von nächtlichen Razzien und der Angst der Kinder, die ihr Spielzeug mit in die Schule nehmen, weil sie nicht wissen, ob das Haus ihrer Eltern noch steht, wenn sie dorthin zurückkehren. „Die Israelis wollen uns auslöschen“, ist Ghith überzeugt. Und natürlich ist für ihn nicht nur das Westjordanland besetzt.
“Wir existieren hier schon seit 1000 Jahren“
Denn Palästina reicht für Ghith vom Jordan bis zum Mittelmeer. „Wir existieren hier schon seit mehr als 1000 Jahren.“ Auch er ist für eine Einstaaten-Lösung. Für eine ohne Juden. Offizielle Parteilinie ist das nicht. Seine Organisation, die Fatah, die im Westjordanland regiert, hat das Existenzrecht Israels anerkannt, im Gegensatz zur Hamas, die den Gaza-Streifen beherrscht. Die Fatah-Führer seien von den mächtigen Staaten dazu gezwungen worden, Israel zu akzeptieren, sagt Ghith. „Wenn wir die Kraft haben, werden wir sie alle rausschmeißen.“ So dächten alle Palästinenser.
„Wir werden nicht aufhören, gegen die Besatzung zu kämpfen“, sagt der Fatah-Mann, „und ich will eine dritte Intifada.“ Seine Leute nicken eifrig. Bei dem zweiten Palästinenseraufstand starben zwischen 2000 und 2005 rund 1000 Israelis und etwa 3500 Palästinenser.
Am Ende der Gespräche sagen beide dasselbe.
Bob Lang sagt in Efrat: „Ich will Frieden.“
Adnan Ghith sagt in Silwan: „Ich will Frieden.“