Hamm. . Die Öko-Partei fühlt sich als Gewinner bei vielen Themen, sieht aber im Bund keinen Regierungspartner. Unter dem Jubel der rund 280 Delegierten stimmte Spitzenkandidat Jürgen Trittin den mitgliederstärksten Grünen-Landesverband auf den Wahlkampf ein. Trittin attackierte vor allem Kanzlerin Angela Merkel.

Die bemerkenswerteste Rede dieses Parteitags der NRW-Grünen in Hamm war eine, die gar nicht auf der Tagesordnung stand. Als „Überraschungspunkt“ wurde Kerstin Mül­ler verabschiedet, die ehemalige Landesvorsitzende, Bundestagsfraktionschefin und Staatsministerin im Auswärtigen Amt.

Die Kölnerin (49) macht Schluss im Bundestag und geht für die Heinrich-Böll-Stiftung nach Israel. Müller erinnerte daran, dass sie noch Ende der 1990er-Jahre in nächtlichen Ministeriumssitzungen vom Koalitionspartner SPD ermahnt wurde, von solch „sektiererischer Randgruppen-Politik“ wie der Gleichstellung Homosexueller zu lassen. Atom-Ausstieg, Umweltschutz, Zuwanderung, Frauenquoten – die „grünen Spielwiesen“ von einst sind heute umkämpftes Terrain fast aller Parteien. „Es gehört dazu, dass wir zunächst für verrückt erklärt werden“, sagte die scheidende Spitzenpolitikerin den NRW-Grünen.

Höhere Steuern für Reiche

Diese Selbstgewissheit zog sich durch den gesamten Parteitag. Der groß gewachsene Spitzenkandidat Jürgen Trittin ließ sich grotesk beengt in einem grünen Elektromobil zur Bühne chauffieren, riss symbolisch eine „schwarz-gelbe Blockade“ aus Pappmaschee ein und beschwor die grünsten aller grünen Grundsätze. 100 Prozent erneuerbare Energie. Keine Massentierhaltung. Humane Flüchtlingspolitik. Kampf den Rüstungsexporten. Höhere Steuern für Reiche gegen die öffentliche Verschuldung. Basisdemokratie. Weg vom Wachstum als einzigem Wohlstandsindikator. So etwas hört man nicht nur in NRW gern.

„Es wird knüppelhart werden“, prophezeite Trittin für die verbleibenden Wochen bis zur Bundestagswahl. Die Grünen wähnen sich in einem Kampf gegen einflussreiche Lobbyverbände und Teile der veröffentlichten Meinung. Das wohlige Gefühl, für die richtigen Themen zu streiten, scheint jedoch zunehmend von der Ahnung eines strategischen Dilemmas überlagert zu werden: Mit wem sollen die Grünen nach dem 22. September regieren?

Kritische Umfragelage

Rot-Grün gibt die Umfragenlage nicht her, Rot-Rot-Grün nicht die in­ternationale Problemlage, Schwarz-Grün nicht die Wahlkampflage. Volker Beck, der Parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, blies „zum Sturm auf Merkel“ und bat die Delegierten, den SPD-Kollegen am Wahlkampfstand „aufmunternd auf die Schulter zu klopfen“.

NRW-Spitzenkandidatin Bärbel Höhn hielt es neutraler: „Wir werden das Ding noch drehen und zu einer Regierung kommen, in der die Grünen Verantwortung tragen“. Schulministerin Sylvia Löhrmann, die 2010 kurzzeitig im Land mit Schwarz-Grün liebäugelte, formulierte den beziehungsreichen Satz: „Wir haben noch alle Optionen.“ Außerdem widersprach sie Beck: „Wir motivieren die Menschen nicht, SPD zu wählen.“

So gaben die grünen Landesvorsitzenden Monika Düker und Sven Lehmann ihrem Spitzenkandidaten Trittin lediglich das Versprechen mit auf den Weg, in NRW 1,2 Millionen Wählerstimmen für den Gesamterfolg zu sammeln. Verpackt hatten sie es in einen symbolischen Geschenkkarton. Was nach dem Auspacken geschieht, blieb zumindest in Hamm unklar.