Düsseldorf. Der Gesetzentwurf, der behinderten Kindern einen Rechtsanspruch auf gemeinsamen Unterricht mit Nichtbehinderten geben soll, steht in der Kritik. So sagt die Gewerkschaft GEW, die Lehrer seien auf die neuen Aufgaben nicht ausreichend vorbereitet - außerdem fehlten Sonderpädagogen.

Nach dem schlechten Zeugnis für ihre Inklusionspläne an NRW-Schulen muss Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) nachsitzen. Experten von Gewerkschaften, Kirchen, Eltern- und Wohlfahrtsverbänden kritisierten jetzt auch noch handwerkliche Mängel an Löhrmanns Entwurf für ein Gesetz, das den gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht-behinderten Kindern in NRW zur Regel machen soll.

In einer Anhörung im Landtag bemängelten die Experten, es gebe keine verbindlichen Qualitätsstandards für den gemeinsamen Unterricht, zudem sei die personelle und finanzielle Ausstattung zu knapp. Die Städte warnen bereits offen vor einem „Scheitern der Inklusion“.

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Zum Hintergrund: Behinderte Kinder sollen ab dem Schuljahr 2014/15 schrittweise einen Rechtsanspruch auf gemeinsamen Unterricht mit Nichtbehinderten in NRW haben. Im Ziel dieser Inklusion sind sich Parteien und Verbände einig – auf dem Weg türmt sich aber ein riesiger Problemberg.

GEW fordert Stufenplan für die Umsetzung der Inklusion

Die Lehrergewerkschaft GEW fordert Nachbesserungen und einen Stufenplan für die Umsetzung der Inklusion. „Die Lehrer sind nicht vorbereitet“, klagte Landeschefin Dorothea Schäfer und forderte kleine Klassen mit maximal 20 Schülern – davon fünf mit Behinderungen – und die Doppelbesetzung der Klassen mit einem Lehrer und einem Sonderpädagogen. Faktisch werden allerdings zum Start Sonderpädagogen und Lehrer fehlen. Die CDU warnte deshalb vor einer „Inklusion light nach Kassenlage“, die FDP fürchtet schon eine Schließungswelle bei Förderschulen.

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Künftig sollen Eltern ein Wahlrecht haben, auf welche Schule ihr behindertes Kind gehen soll. Der Verband „Lehrer-NRW“ verlangte aber, dass die Profis in den Lehrerzimmern weiter die Expertise abgeben, ob ein Kind sonderpädagogischen Förderbedarf hat. Sorge bereitet den Direktorenkonferenzen der Gymnasien, ob ihre Einrichtungen ihren Bildungsauftrag für nicht behinderte Schüler noch erfüllen können, wenn bei knappen Lehrerstellen landesweit in unterschiedlichen Gruppen unterrichtet werden soll. Der Siegener Schulrektor Rüdiger Käuser verlangte mehr Zeit für eine Lösung. Gesamtschulrektor Rainer Dahlhaus schlug eine zielgenaue Festlegung des individuellen Förderbedarfs für jeden einzelnen Schüler vor.

Die kommunalen Spitzenverbände fürchten massive Finanznöte und die Schließung zahlreicher Förderschulen. Dann laufe die Wahlfreiheit der Eltern behinderter Schüler vor allem auf dem Land ins Leere. Die kirchlichen Träger beklagten zudem, dass Sonderpädagogen häufig zuerst auf staatliche Schulen verteilt würden. Vielfach wurde die Sorge geäußert, dass zahlreiche behinderte Kinder überfordert sein könnten, wenn sie am Regelunterricht teilnehmen sollten. Darüber dürfe nicht einfach hinweg gesehen werden.

Bis 2017 soll Hälfte aller behinderten Schüler auf Allgemeinschule gehen

Derzeit werden 99.500 behinderte Schüler an einer der 683 Förderschulen in NRW unterrichtet. Weitere 18.000 Kinder mit einem Handicap besuchen eine Regelschule. Mehr als die Hälfte der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist lernbehindert oder hat emotional-soziale Entwicklungsprobleme, 20.000 Kinder haben eine körperliche Behinderung. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass bis 2017 die Hälfte aller Schüler mit Behinderungen in allgemeinen Schulen unterrichtet wird. 2014/15 soll in den Klassen 1 und 5 gestartet werden – bis 2017 sollen 2000 zusätzliche Lehrer eingesetzt werden.