Damaskus. . Die Kurden in Syrien geraten unter immer stärkeren Druck. Sie wurden vom Assad-Regime verfolgt und leiden nun unter den Attacken radikaler Islamisten. In dieser komplizierten Gemengelage wollen sie sich so viel Autonomie wie möglich bewahren.

Die Angreifer kamen im Schutze der Nacht und eröffneten sofort das Feuer. Seit die syrischen Kurden in der letzten Woche einen eigenen Platz auf der internationalen Syrien-Konferenz reklamierten, wird in der Grenzstadt Ras al-Ain wieder gekämpft und gestorben, mit 50 000 Einwohnern eine der größten Ortschaften Nordsyriens. Elf Bewaffnete fanden diesmal den Tod. Einige Wochen zuvor bereits waren bei Gefechten zwischen Kurdenmilizen und der „Freien Syrischen Armee“ 56 Menschen gestorben – ein blutiger Kleinkrieg in dem immer monströser werdenden großen Bürgerkrieg. Vor allem den Liwa al-Tawhid-Brigaden der Muslimbrüder und den radikalen Gotteskriegern der Al-Nusra-Front sind die Autonomiebestrebungen der kurdischen Minderheit ein Dorn im Auge. Und so kommen ihre Bewaffneten nicht, um die Assad-Truppen zu bekämpfen. Sie nehmen die Straßenzüge und Straßensperren der Kurden unter Beschuss.

Gut zwei Millionen Kurden leben in Syrien, die Mehrzahl im Nordosten des Landes, im Dreiländereck mit der Türkei und dem Irak. Jahrzehntelang wurde die Minderheit vom Assad-Regime diskriminiert, 400.000 Kurden wurde die syrische Staatsangehörigkeit verweigert. Kurz nach Beginn des Volksaufstands im März 2011 stellte Präsident Baschar al-Assad ihnen erstmals syrische Pässe in Aussicht. Im Gegenzug hielten sich die Kurden im innersyrischen Machtkampf weitgehend zurück, Demonstrationen gab es nur selten. Im Herbst 2012 schließlich zog das Regime seine Truppen kampflos aus den kurdischen Regionen zurück.

Seitdem nutzen die Bewohner das Machtvakuum und errichteten rund um die Provinzhauptstadt Qamishli eine quasi-autonome Enklave. Auf allen offiziellen Gebäuden weht die kurdische Flagge. Schulen mit Unterricht in Kurdisch sowie Kulturzentren wurden eröffnet. Milizen der Partei der Demokratischen Union, eines Ablegers der kurdischen Arbeiterpartei PKK, patrouillieren auf den Straßen und haben ein Netz von Kontrollpunkten errichtet. Und die Menschen hoffen für die Zeit nach Assad auf ein Autonomiegebiet – was auch in der Türkei und im Iran kurdische Träume von der eigenen Nation neu anfachen könnte.

„Gotteskrieger“ kamen über die Grenze

Entsprechend alarmiert reagieren die Türkei, aber auch die sunnitischen Assad-Gegner auf syrischer Seite. Man sei bereit, eine gewisse lokale Selbstverwaltung in den kurdischen Gebieten zu akzeptieren, erklärte Omar Mushaweh, einer der Sprecher der syrischen Muslimbruderschaft. Die Forderung nach einem eigenen Parlament jedoch gehe zu weit. Die Kurden dagegen befürchten, ein von arabischen Sunniten dominiertes Post-Assad-Regime werde ihre Forderungen nach Selbstbestimmung schnell vom Tisch fegen, weil ein Großteil der syrischen Ölreserven auf ihrem Territorium liegt.

Und so werfen die syrischen Kurden den sunnitischen Rebellen und der Türkei vor, in offener Komplizenschaft ausgerechnet die radikalen Kämpfer der salafistischen Al-Nusra-Front auf sie zu hetzen, um alle Autonomiebestrebungen im Keim zu ersticken. Bis zu 1500 Gotteskrieger seien seit Januar über die türkische Grenze in ihre Enklave eingesickert, behaupten kurdische Aktivisten. Für kurdische Kämpfer wie Abu Zaradashit sind die jüngsten Gefechte nur der Auftakt eines neuen, langen Konfliktes. „Ich bin mir sicher, Araber und Kurden werden jetzt viele Jahre gegeneinander kämpfen, auch wenn das Assad-Regime längst Geschichte ist.“