Essen. . Nahost-Experte Jürgen Todenhöfer mahnt den Westen zur Zurückhaltung in Syrien. Eine militärische Intervention würde die Extremisten und El Kaida stärken.

Nach dem israelischen Raketenangriff in Damaskus könnte sich der Krieg in Syrien zu einem Flächenbrand ausweiten. Während Israel sich für Kämpfe rüstet, wächst der Druck auf US-Präsident Barack Obama, militärisch einzugreifen. Doch auch die syrische Opposition wird immer radikaler, extremistische Kräfte spielen eine wachsende Rolle, warnt Jürgen Todenhöfer, der Syrien seit den Unruhen sechsmal besuchte und mehrfach mit dem syrischen Diktator Assad Gespräche führte.

Rebellen und Regierung werfen sich gegenseitig vor, im syrischen Bürgerkrieg Giftgas eingesetzt zu haben. Droht nun eine Eskalation des Konflikts?

Jürgen Todenhöfer: Präsident Assad hat Vertreter der UNO ausdrücklich eingeladen, die Vorfälle in Aleppo zu untersuchen. Er hat zudem chemische Proben nach Russland geschickt, um sie analysieren zu lassen. Das zeigt, dass er versucht, die Umstände aufzuklären. Es spricht nicht dafür, dass er selbst Giftgas eingesetzt hat.

Sie glauben, es waren Rebellen?

Todenhöfer: Es gibt bisher keine Beweise. Vor zwei Wochen war ich in Damaskus und sprach mit Assad. Er sagte mir sinngemäß: Für wie dumm hält man uns eigentlich, dass wir weitere Interventionen riskieren würden. Auch die Menschen auf der Straße glauben nicht, dass Syrien so töricht sein könnte, Chemiewaffen einzusetzen.

Was steckt hinter den Schuldzuweisungen?

Todenhöfer: Das scheint ähnlich wie im Irak eine Inszenierung zu sein, um Präsident Obama über die sogenannte rote Linie zu zerren. Eigentlich ein schlimmes Spiel, um einen Vorwand für einen Eingriff konstruieren zu können.

Wie sollte sich der Westen jetzt verhalten? Wäre es nicht Zeit für eine militärische Intervention, um das Blutvergießen zu stoppen?

Todenhöfer: Wen sollte der Westen angreifen? Assads Soldaten? Wem würde das helfen außer El Kaida? Zu Beginn war es ja noch ein Aufstand demokratisch gesinnter Menschen in Syrien. Das ist jedoch schon lange vorbei. Es gibt keinen demokratischen Aufstand mehr in Syrien. Katar und Saudi-Arabien unterstützen mit Geld und Waffen extremistische Kämpfer, vor allem Al Nusra, die syrische El Kaida-Filiale. In der Hoffnung, dass die ihren Radikal-Islam verbreitet.

Was wir jetzt erleben, ist eine Mischung aus einem blutigen Religionskrieg und einem Stellvertreterkrieg gegen den Iran. Dies ist ein offen von außen geführter Krieg. Waffen kommen massenweise ins Land.

Was würde geschehen, wenn Assad gestürzt oder ermordet würde?

Todenhöfer: Das kann jeden Tag passieren. Wenn aber Assad von den USA angegriffen würde, gäbe es einen weltweiten Jubelschrei der El Kaida. Saudi-Arabien und Katar haben El Kaida massiv gestärkt. Ich habe El Kaida in Afghanistan, Pakistan und im Irak erlebt. Zum Riesen wurde die Organisation erst in Syrien. Es wäre vom Westen unverantwortlich, El Kaida weiter zu stärken. Wenn Assad beseitigt wird, würde das Chaos noch viel größer.

Wie könnte der Krieg ohne militärische Interventionen beendet werden?

Todenhöfer: Kann denn der Westen nur noch mit Bomben und Sanktionen reagieren? Warum versucht man es nicht einmal mit Verhandlungen? Man müsste die Waffenlieferungen Katars und Saudi-Arabiens sofort stoppen und Friedensverhandlungen beginnen, eine neue demokratische Verfassung erarbeiten und dann eine freie, international beobachtete Wahl durchführen. Und man muss Israel ganz nebenbei klar machen, dass es kein Recht hat, Raketen auf Syrien abzufeuern.

Welche Rolle spielt Deutschland in dem Konflikt?

Todenhöfer: Deutschland spielt eine angenehm zurückhaltende Rolle und warnt vor den für die gesamte Region gefährlichen Folgen von Waffenlieferungen. Die maßvolle Rolle Deutschlands ist gut für das gesamte syrische Volk, für die Opposition wie für die Regierungsanhänger. Und für Deutschland.