Hamburg. . Ein Gespräch zum Abschluss des Kirchentags mit Professor Eckhard Nagel, ärztlicher Direktor des Essener Uni-Klinikums, Theologe und Mitglied des Kirchentags-Präsidiumsvorstands.
Bibelarbeit, Vortrag, Moderation – auf dem Hamburger Kirchentag war Professor Eckhard Nagel, ärztlicher Direktor des Essener Uni-Klinikums und Theologe, ein gefragter Referent. Mit dem Mitglied des Kirchentags-Präsidiumsvorstands zog NRZ-Redakteur Thomas Rünker ein Fazit des Christentreffens.
Herr Professor Nagel, was bedeutet das Kirchentags-Motto „Soviel du brauchst“ für Sie persönlich?
Professor Eckhard Nagel: Kern der Kirchentags-Losung ist das „Du“– damit nimmt dieser Satz direkt Bezug auf mein Gegenüber. Es geht um die Frage, wie ich mich im Hinblick auf die konkreten Bedürfnisse meines Nächsten verhalte, wieweit ich mich ihm zuwende. Das ist ein urchristliches Thema. Dabei geht die Losung weit über materielle Fragen hinaus. Es geht um das ganze Spektrum unseres Menschseins, um Beziehungen, Freundschaft, Zugehörigkeit, Freiheit, spirituelle Begleitung oder auch Vergebung.
Der Kirchentag unterstreicht - wir sind nicht allein, es wird genug für alle da sein, wenn wir unser Gegenüber ernsthaft wahrnehmen.
Welche Impulse sendet der Kirchentag ausgehend von dieser Losung in die Gesellschaft?
Eckhard Nagel: Ein durchgehendes Thema auf vielen Podien war die Solidarität, jeweils bezogen auf verschiedene Kontexte – sei es mit Blick auf globale Verteilungsfragen z.B. beim Wasser, auf die aktuelle Schuldenkrise in Europa, auf ein intensiveres Miteinander in der Ökumene oder auf die Herausforderungen in den soziale Sicherungssystemen. All diese Punkte haben sich in Hamburg immer wieder zugespitzt auf die Frage nach der Bereitschaft zu teilen.
"Der Arme, der empfängt, wird nicht gleich reich"
Aktuelle gesellschaftliche Diskussionen wie die Debatten um Steuerhinterziehung oder hohe Managergehälter, die ja durchaus gut zum Solidaritäts-Thema passen würden, fanden sich trotzdem allenfalls am Rande des Programms...
Eckhard Nagel: Da muss man unterscheiden. Diskussionen über die sogenannte „Gier“ als eine gesellschaftliche Grundströmung des heutigen Konsum-Kapitalismus und deren kritische Auswirkungen hat es in Hamburg vielfach gegeben. Was auf dem Kirchentag jedoch nichts verloren hat, ist eine Neid-Debatte. Aus dem „Soviel du brauchst“ zu argumentieren, dass die einen zu viel und die anderen zu wenig haben und man dazwischen nur austauschen müsse, ist zu kurz gedacht. Der Reiche, der gibt, wird doch nicht gleich arm. Und der Arme, der empfängt, wird auch nicht gleich reich. Eine Neid-Debatte wirkt auf den verschiedensten Ebenen destruktiv und spaltend - und sollte schon deshalb keinen Platz in unserer Gesellschaft haben.
„So viel du brauchst“ klingt auch nach einer wünschenswerten Überschrift über dem deutschen Gesundheitssystem.
Eckhard Nagel: Die Bibelstelle im alten Testament, aus der diese Losung stammt, macht vor allem Folgendes klar: Keiner wird verhungern! Wir leben nicht im Paradies, nicht im Überfluss, aber wir sind auch in der Wüste nicht allein. Da ist jemand, der steht uns zur Seite! Jeder Einzelne wird versorgt, keiner fällt am Ende hinten runter!
Wenn man dieses Bild auf den Gesundheitsbereich überträgt, sollten wir die gleichen Schlussfolgerungen ziehen dürfen. Man kann wohl mit einigem Respekt vor dem deutschen Gesundheitswesen sagen: wir liegen weltweit mit an der Spitze. Freie Arztwahl, gleicher Zugang zu Krankenhäusern und ambulanten Einrichtungen, solidarisch abgesicherte Finanzierung. Das ist schon ziemlich gut. Aber der sich abzeichnende Ressourcen-Mangel stellt in den letzten Jahren eine ungeheure Herausforderung dar. So sehen wir schon heute eine zunehmende Leistungs-Einschränkung für chronisch kranke Patienten Da läuft was schief!
"Die Wirtschaft dient dem Menschen, nicht umgekehrt!"
Auch für viele gewöhnlich Kranke hat das wirtschaftlich zweckmäßige oft Vorrang vor dem medizinisch Notwendigen.
Eckhard Nagel: Das medizinisch Notwendige darf nicht zur Disposition stehen. Schon aus ärztlicher Verantwortung heraus nicht. Aber sobald wir in den Bereich des medizinisch Wünschenswerten kommen, von dem wir wissen, dass er unseren Patienten gut täte, wird es schwierig. Da haben wir häufig ein Primat der Ökonomie und das wird zurecht nicht selten als ein Vorenthalten von Therapiechancen empfunden.
Wirtschaftliche Zwänge dürfen nicht zu einer unzureichenden Behandlung von Patienten führen. Analog gilt hier, was generell für den Stellenwert der Ökonomie richtig ist: Die Wirtschaft dient dem Menschen, nicht umgekehrt. Sie ist eine Hilfe für das Leben, aber nicht der Sinn des Lebens.
Zurück zum Kirchentag: 2015 treffen sich die Protestanten in Stuttgart, zum Reformationsjubiläum 2017 wird vermutlich in Ostdeutschland gefeiert – und 2019 dann in Dortmund?
Eckhard Nagel: Da ist noch nichts entschieden. In der Tat liegt uns eine Einladung der Evangelischen Kirche von Westfalen vor. Dafür sind wir dankbar und darüber freuen wir uns sehr. Aber es gibt auch den Wunsch des Deutschen Evangelischen Kirchentags und des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken 2019 wieder einen Ökumenischen Kirchentag zu feiern. Es bedarf also noch einer ganzen Reihe von Gesprächen, bis eine konkrete Empfehlung den zuständigen Gremien vorgelegt werden kann.