München. Abzocker, Amigo-Abgeordnete, Bayern-Filz: Unschöne Schlagzeilen überschatten die Kür von CSU-Chef Seehofer zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl. Die Verwandtenaffäre zieht immer weitere Kreise - und stürzt den Parlamentarismus in die Krise.
Eigentlich hätte es ein ganz großer Tag werden sollen für Horst Seehofer. 1500 Anhänger, die ihm im Münchner Postpalast zujubeln und ihn per Akklamation zum CSU-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl ausrufen. Mit schönen Filmchen und vielen fröhlichen Bildern. Doch zum Jubeln ist dem Ministerpräsidenten und seiner CSU in diesen Tagen nicht zumute - und Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) auch nicht. "Abzocker", "Amigo-Abgeordnete", "Bayern-Filz": Solche Schlagzeilen beherrschen seit fast zwei Wochen die Schlagzeilen. Und auch der Rücktritt von Fraktionschef Georg Schmid bedeutete nicht den erhofften Befreiungsschlag. Täglich kommen neue Details, neue Namen in der "Verwandten-Affäre" ans Licht.
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Am Freitag ist es der SPD-Spitzenkandidat Christian Ude, der die Sache vorläufig auf die Spitze treibt. "Bayern hat eine schwere Regierungskrise", sagt er und fordert die Rücktritte von fünf CSU-Kabinettsmitgliedern. Doch weil auch Oppositionsabgeordnete nach dem Jahr 2000 Verwandte als Mitarbeiter beschäftigt hatten, lässt er sich auch zu dem Urteil hinreißen, es handle sich "selbstverständlich auch um eine Parlamentskrise". "Es zementiert Vorurteile gegen Bayern. Es mobilisiert Vorurteile gegen die Politik", warnt er.
Auch SPD-Politiker und Grüne haben Verwandte beschäftigt
Die bayerischen Landtagsabgeordneten als skrupellose Abzocker und Selbstbediener, der Freistaat als Bananenrepublik - dieses Bild wird derzeit bundesweit vermittelt. Tatsache ist: Im Jahr 2000 wurde den Parlamentariern verboten, Ehepartner, Kinder und Eltern als Mitarbeiter zu beschäftigten. Altverträge durften aber weiterlaufen. Und von dieser Altfallregelung haben viele Abgeordnete eifrig Gebrauch gemacht - einige davon bis heute. 17 waren es zuletzt bei der CSU, in der Legislaturperiode davor waren es 39 - fast jeder Dritte. Bei der SPD hatten zwischen 2003 und 2008 noch 7 von 41 Abgeordneten Ehepartner oder Kinder unter Vertrag. Und auch eine Grünen-Politikerin machte von der Altfallregelung Gebrauch.
Rechtlich war und ist daran bis heute nichts auszusetzen. Nur: Nicht alles, was rechtlich möglich ist, ist auch politisch und moralisch darstellbar - das hatte Seehofer schon vor zwei Wochen ganz deutlich gesagt. Unsensibel sei ihr Vorgehen gewesen, sagen auch viele Betroffene.
Acht ehemalige und amtierende Kabinettsmitglieder profitierten
Landtagspräsidentin Stamm hat jedenfalls keine Lust mehr, den Kopf für all das hinzuhalten. Sie macht jetzt reinen Tisch. Am Freitag veröffentlichte sie die Namen aller 79 betroffenen Abgeordneten. Darunter sind zwei ehemalige Kabinettsmitglieder: der frühere Staatskanzleichef Siegfried Schneider und der langjährige Innenstaatssekretär Hermann Regensburger (beide CSU). Somit steht fest, dass insgesamt acht amtierende und ehemalige CSU-Minister und Staatssekretäre seit 2000 auf Familienhilfe zurückgegriffen haben. Auf der Landtagsliste tauchen nicht alle Abgeordneten auf, die enge Verwandte auf Steuerzahlerkosten eingestellt haben. Da die alte Regelung nur für Verwandte ersten Grades galt, fehlt etwa Justizministerin Beate Merk: Sie hatte ihre Schwester beschäftigt - und diese ist eine Verwandte zweiten Grades.
Merk zahlte ihrer Schwester nach einem Bericht der "Augsburger Allgemeinen" bis zu 3000 Euro im Monat. Durchschnittlich habe es sich um 1200 Euro pro Monat gehandelt, erklärte die Justizministerin der Zeitung. Ihre Schwester habe Büro-Aufträge erledigt. "Ich bin mir keiner Schuld bewusst gewesen, denn das Landratsamt Neu-Ulm hat mir damals ausdrücklich bestätigt, dass die Aufträge an Verwandte zweiten Grades nach dem Abgeordnetengesetz erlaubt waren", sagte Merk.
Warnung vor Pauschalverdammung
Landtagspräsidentin Stamm warnt aber auch davor, alle Abgeordneten über einen Kamm zu scheren. Zum einen müsse man differenzieren, ob jemand Ehepartner oder Kinder beschäftigt habe oder andere Verwandte - was laut Abgeordnetengesetz bislang uneingeschränkt zulässig ist. Und sie sagt: "Es ist nicht gerecht, alle in einen Topf hineinzuwerfen."
Denn Tatsache ist auch: Unter denen, die die Altfallregelung genutzt haben, gibt es solche und solche. Da ist Fraktionschef Georg Schmid, der seiner Frau bis zu 5500 Euro pro Monat bezahlte - wovon nach Abzügen dann aber am Ende weniger als 2500 übriggeblieben seien. Da ist der inzwischen ebenfalls zurückgetretene Chef des Haushaltsausschusses, Georg Winter, der seinen 13- und 14-jährigen Söhne im Jahr 2000 noch auf die Schnelle Jobs verschaffte, bevor dies verboten wurde.
Und da sind auf der anderen Seite eine ganze Reihe von Politikern, die ihre Ehefrau im Rahmen eines Mini-Jobs beschäftigt hatten. Wobei, so heißt es, viele Gattinnen sehr viel mehr gearbeitet hätten. Das wiederum ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie dafür aus der Landtagskasse und damit aus Steuermitteln bezahlt wurden. Im Bundestag und in anderen Bundesländern ist das ausgeschlossen. Und: Meist ist auch die Anstellung von Geschwistern längst verboten.
Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch beklagte am Freitag aber eine "Pauschalverdammung" der Abgeordneten. "Die Diskussion wird übertrieben", sagte die Leiterin der Akademie für Politische Bildung Tutzing. "Es klingt, als hätten alle in die eigene Tasche gewirtschaftet. Das trifft so nicht zu. Die Diskussion ist zu wenig differenziert." Die Diskussion werde deshalb der Politik insgesamt schaden. "Als Resultat wird bleiben, dass der Wähler nicht mehr zur Wahl geht, weil er die Wahrnehmung hat "die sind alle korrupt"."
Seehofer, der zu Beginn der Affäre noch den Krisenmanager gegeben hatte und für sein hartes Durchgreifen parteiintern gelobt wurde, kann nun auch fast nur noch zuschauen. Seine Kür zum Spitzenkandidaten am Freitagabend - sie gerät zur Nebensache. (dpa)