Berlin. . Die Operation Schulterschluss ist auf dem Parteitag in Berlin geglückt. Das ist eine klare Absage der Delegierten ans Lager der Oberrealos und schwarz-grüne Optionen. Doch wer sich das Parteiprogramm der Grünen anguckt, stellt fest: Übereinstimmungen mit der Union gibt es ohnehin kaum.

Sigmar Gabriel muss jetzt richtig nachlegen. „Ich bin nun die arme Sau, die nach dir reden muss“, badet der SPD-Parteivorsitzende in gespieltem Selbstmitleid. Eben hat Grünen-Chefin Claudia Roth mit einem rhetorischen Feuerwerk die Basis verzückt, die Koalition verprügelt und sich glasklar für Rot-Grün ausgesprochen: „Wir wuppen das.“ Also bauchpinselt der oberste SPDler die Ökopartei und wirbt wortreich für eine Koalition der beiden Parteien. Voilà, Operation rot-grüner Schulterschluss geglückt.

Kretschmann in der Kritik

Fünf Monate vor der Bundestagswahl zelebrieren Roth und Gabriel auf dem Parteitag der Grünen in Berlin völlige Eintracht im Kampf um den Machtwechsel. Damit sich der schwarz-grüne Geist auch ja verzieht, den einige Grüne im Vorfeld aus der Flasche gelassen haben. Dieses Mal war es Baden-Württembergs Landesvater Winfried Kretschmann, der mit Koalitionsgesprächen mit der Union liebäugelte, falls es für Rot-Grün nicht reicht. „Gucken, na ja, das machen wir doch alle irgendwann mal im Leben“, spielt Gabriel, der erstmals auf einem Grünen-Parteitag spricht, das Thema runter.

Wohl nicht zu Unrecht. Denn viele der Vorhaben im Wahlprogramm, die die 800 Delegierten durchwinken, sind wenig geeignet, um sich mit der Union zu einigen. Etwa beim Steuerkonzept, das Vielverdiener stärker belastet. Die Grünen wollen per Vermögensabgabe 100 Milliarden Euro von Millionären für den Schuldenabbau kassieren. Später soll eine Vermögenssteuer folgen. Für Einkommen ab 80.000 Euro ist ein Spitzensteuersatz von 49 Prozent vorgesehen. Zu den weiteren Eckpunkten gehören ein höheres Erbschaftssteueraufkommen, das Abschmelzen des Ehegattensplittings, und der Abbau von ökologisch schädlichen Subventionen. Wie sagt es Parteichef Cem Özdemir so treffend: „Robin Hood ist hier.“

Ohrfeige für den Spitzenkandidaten aus dem linken Lager

Da kann auch Kretschmann nicht mehr viel ändern, der im Vorfeld die Abgabenpläne attackiert und vor „unzumutbaren Belastungen“ für die Wirtschaft gewarnt hat. Es war eine Ohrfeige für den Spitzenkandidaten aus dem linken Lager, Jürgen Trittin, der maßgeblich am Steuerkonzept gebastelt hatte. Viele sind danach stinksauer auf den Oberrealo. „Die Äußerungen von Winfried Kretschmann sind ein Bärendienst für einen geschlossenen Wahlkampf“, sagt NRW-Landeschef Sven Lehmann. „Das ist ein Machtkampf unter Gockeln“, sagt eine Delegierte mit Blick auf Kretsch­mann und Trittin. Gar nicht gut kommt auch die Steuerschelte von Vorzeige-Realo Boris Palmer an: „Das Gesamtpaket ist nicht ausgewogen, so wird die Schraube überdreht“, mahnt er unter Buhrufen.

Die Intervention sei nötig gewesen, um Schlimmeres zu verhindern, so das Kretschmann-Lager. Denn einige Delegierte möchten gar 53 Prozent Spitzensteuersatz und die Vermögenssteuer früher einführen. Ohne Erfolg. Man habe die richtige Balance gefunden, wird Kretschmann am Ende versöhnliche Worte finden. Insgeheim gehen viele Realos ohnehin davon aus, dass die Steuerpläne nach dem 22. September zum Großteil im Schredder landen. Wie viel davon durchsetzbar ist? „Ein Bruchteil“, meint eine Abgeordnete.

V-Leute abschaffen

Höhere Hartz-IV-Regelsätze, flächendeckender Mindestlohn, Garantierente, Bürgerversicherung, Klimaschutzgesetz und Tempo 120 auf Autobahnen, konsequente Umsetzung der Energiewende – so lauten weitere Leitplanken im Wahlprogramm. Über neun Schlüsselprojekte im Wahlkampf sollen die Mitglieder nun entscheiden.

An einer Stelle büxen die Delegierten doch aus der reibungslosen Parteitagschoreographie aus. Gegen den Willen der Spitze votieren sie für das Aus von V-Leuten. Zum Unbill der SPD. „Ein absolutes Verbot wird es mit uns nicht geben“, twittert Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann umgehend. Der rot-grünen Harmonie tut das keinen Abbruch. Jedenfalls nicht an diesem Wochenende.