Za’atari. Mehr als 450.000 Menschen haben in Jordanien Schutz vor dem Bürgerkrieg in ihrer Heimat gefunden. Und der Flüchtlingsstrom reißt nicht ab. Im Camp Za’atari ist es heiß, eng und staubig, aber sicher. Doch die Kapaität des Lagers ist begrenzt. Wie lange es geöffnet bleibt, weiß derzeit niemand.
Übermütig rollt sich Rahaf über den Boden. Das Mädchen gluckst und kichert. Liebevoll nimmt Papa Zaher seinen Lockenschopf auf den Arm. Dann kuschelt sich die Kleine an seine Schulter und nagt vergnügt auf seinem Uralthandy herum.
Wie gut, dass Rahaf mit ihren zwei Jahren die bittere Realität noch nicht ganz erfasst. Sie haust mit ihren Eltern im Zelt. Dort ist die Luft schwül und abgestanden. Drei dünne graue Matratzen liegen auf dem Boden. Am Zelteingang gammeln Fladenbrote im Staub. Neben ausgetretenen Latschen und einem Plastikeimer voll Trinkwasser. Persönliche Dinge gibt es kaum. Die befinden sich im Haus der Familie al Kudsi im syrischen Daraa. Ob das noch steht oder zerbombt wurde, weiß Zaher al Kudsi nicht. Wahrscheinlich erfährt der 31-jährige Lehrer das erst in Monaten – falls er überhaupt zurückkehren kann.
Vor zwei Monaten sind die al Kudsis aus dem kriegsgeplagten Syrien ins Flüchtlingscamp Za’atari geflohen. „Wir hatten Angst um unser Leben“, sagt al Kudsi. Mit nun 140 000 Flüchtlingen ist Za’atari zur viertgrößten „Stadt“ Jordaniens angeschwollen. Jede Nacht kommen 2000 Personen hinzu. Bis Jahresende könnten mehr als eine Million Syrer nach Jordanien strömen, so Unicef. Bisher sind es mehr als 450.000 Frauen, Männer, Kinder.
Auf einer Fläche von 4,5 Quadratkilometern
Za’atari stößt schon jetzt an seine Grenzen. Auf 4,5 Quadratkilometern reihen sich Zelte und Wohncontainer im staubigen Schotter aneinander. Hier und da bilden sich Rinnsale mit Dreckbrühe. In Wellblechhütten versuchen Flüchtlinge Kleidung, Zigaretten, Obst und Getränke zu verkaufen. Wie diese ins Camp kommen, weiß keiner so genau. Manche, wie al Kudsi, verdienen einige Dollar bei den Hilfsorganisationen hinzu: als Sanitäter, Lehrer oder Müllmänner.
Dass das Lager, in dem es immer wieder zur Gewalt kommt, nur kurze Zeit bleibt, daran glaubt Stephan Mack nicht. „Das kann zwei oder auch zehn Jahre dauern“, sagt der Projektleiter vom Technischen Hilfswerk (THW). Längst ist aus dem Provisorium Za’atari ein festes Camp geworden, mit zwei Schulen für 10.000 Kinder, fünf Kliniken sowie festen Küchen- und Toilettenblocks, wo sich 30 Personen ein Klo teilen. Die Bundesregierung hat dafür dem THW und Unicef 25 Millionen Euro bereitgestellt. „Nun soll etwas Begrünung kommen“, sagt Mack. Damit es in dem von den Vereinten Nationen geleiteten Camp, wenige Kilometer von der syrischen Grenze entfernt, wohnlicher wird.
Schwere Umstände - besonders für Alte und Kranke
Der jordanischen Regierung dürfte dies kaum gefallen. Sie befürchtet, dass die Flüchtlinge dauerhaft bleiben, zumal Za’atari als „Camp deluxe“ gilt. Dabei sind die Herausforderungen für das 6,5-Millionen-Königreich enorm. Jordanien gehört zu den wasserärmsten Ländern. In einigen Regionen bekommen die Bürger alle zehn Tage für zwei Stunden Wasser. Doch schon jetzt rumpeln täglich 200 Tanklaster nach Za’atari, damit jeder Flüchtling pro Tag 50 Liter Wasser erhält.
Gerade für die Alten und Kranken sind die Umstände dennoch hart. „Ich halte die Hitze im Zelt nicht aus“, klagt Mohammed Awad Hilal, ein winziger Mann mit einer Haut wie ein trockener Apfel. Mit zitternden Händen fischt der 82-Jährige ein Attest unter seinem viel zu großen Umhang hervor. Hilal leidet unter Parkinson und hohem Blutdruck. Seine Frau liegt bereits in einer Klinik im Lager. Der Syrer hofft nun, dass er in einen Wohncontainer umziehen kann, der sich im Sommer „nur“ auf 30 Grad und nicht auf 45 Grad wie ein Zelt aufheizt. Doch die sind alle voll – und der jordanische Hersteller kommt mit der Produktion nicht mehr hinterher. Bis Ende Juni sollen insgesamt 20 000 Wohnboxen für je fünf Personen stehen.
Perspektivlosigkeit ist allgegenwärtig
Im Flüchtlingscamp ist vor sechs Monaten auch Hossam Mounia mit seiner Frau und den vier kleinen Kindern gelandet. „Mein Vater wurde von Assads Truppen erschossen und unser Haus zerbombt“, sagt der 38-Jährige, der in Homs eine Baufirma besessen hat. Nach der Beerdigung des Vaters ist die Familie nachts über die Grenze geflohen. „Den Kindern haben wir Schlafmittel gegeben, damit sie nichts merken“, erzählt Mounia. Inzwischen wohnt die Familie mit 17 Personen im Haus eines Bekannten in Shajara, einem 8000-Seelen-Nest nahe der syrischen Grenze. Weil er als Flüchtling nicht arbeiten darf, lebt die Familie von 110 Euro Hilfsgeldern im Monat. „Es fehlt an allem“, klagt der Familienvater. Vor allem die Perspektivlosigkeit nagt an ihm. „Es gibt keinen Plan, wir leben in den Tag.“ Den verbringt der 38-Jährige damit, die Lage in Syrien vor dem Fernseher zu verfolgen. Er hofft, dass das Assad-Regime schnell fällt. Denn eines ist für Mounia klar: „Wir würden lieber heute als morgen zurückkehren.“