Essen. . Mitarbeiter ambulanter Pflegedienste aus dem ganzen Ruhrgebiet haben am Mittwoch mit einem Protestmarsch und einem Autokorso in Essen gegen die Sparpolitik der Krankenkassen protestiert. Unter dem Motto „Hilfe! Mehr Zeit für die Pflege“ gingen rund 1000 Teilnehmer auf die Straße.
Eine so große Pfleger-Demo hat es in NRW lange nicht gegeben. Mehr als 1000 Frauen und Männer aus dem ganzen Ruhrgebiet und aus dem Sauerland zogen Mittwoch durch die Essener Innenstadt. Zu Fuß und in 200 Pflegedienst-Autos. Sie schrien, trommelten, pfiffen und hupten gegen die ihrer Ansicht nach unwürdigen Arbeitsbedingungen in der ambulanten Altenpflege an. Anwohner filmten den kuriosen Protestmarsch mit ihren Smartphones. Manch ein Passant hielt sich genervt die Ohren zu, denn diese Demo war keine vorsichtige Bitte, sondern ein dickes Ausrufezeichen. Adressat: die Krankenkassen.
Auch Daniela Zühlke aus Hattingen und Heike Swoboda aus Oberhausen trieb die Wut auf die Straße. Sie sind Angestellte der Katholischen Pflegehilfe Essen und schon seit rund zehn Jahren in der Branche. Zehn Jahre, in denen der Job, wie sie sagen, immer härter und die Zeit für die Patienten immer knapper wurde. „Uns wird immer mehr Schreibkram obendrauf gepackt. Und wir können den Patienten kaum noch gerecht werden“, schimpfen sie. Das aufmunternde Wort, die nette Geste – dies bleibe allzu oft auf der Strecke.
Power-Pflege im Akkord
Vera Thuller und Andrea Brix vom Caritas-Trägerwerk Essen trugen eine viel beachtete Karikatur durch die City: Eine Pflegerin lässt einen Senior ohne Klopapier auf der Toilette sitzen. „Sorry, mehr Zeit ist nicht“, sagt die Frau im Kittel. Das Plakat zeigt, worum es bei dieser Demo vor allem ging: um Zeit und um Geld. Die Krankenkassen, die nach Einschätzung der Pflegekräfte dafür verantwortlich sein sollen, dass ihre Arbeit zur „Power-Pflege im Akkord“ verkomme, bekamen „Zeitschweine“ überreicht. Die stehen symbolisch für den Druck in der Branche. Minute für Minute werde eingespart.
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„Vor ein paar Jahren blieben im Schnitt noch 15 Minuten für die Behandlungspflege eines Patienten, heute sind es oft nur noch fünf Minuten“, wetterte Markus Kampling, Geschäftsführer der Katholischen Pflegehilfe in Essen. Medikamente, Spritzen, Verbände, Stützstrümpfe – alles müsse schnell gehen. „Viele Pfleger halten diese Belastung nicht bis zum Rentenalter durch“, sagte Anja Keil, Pflegedienstleiterin der Caritas in Duisburg.
Kranken- und Pflegekassen wie AOK, BKK und Knappschaft akzeptieren indes den Schwarzen Peter nicht. In NRW, so argumentieren sie, sei die Zahl der Pflegedienste in den letzten fünf Jahren stetig gestiegen. Mit Pflege sei also offenbar noch immer ein Geschäft zu machen. Außerdem hätten die Pflegedienste bis heute nicht klar nachweisen können, dass ihre Kosten seit 2002 tatsächlich, wie behauptet, um 20 Prozent gestiegen seien. Die Dienste, so heißt es, akzeptierten zwar immer mehr Patienten und Pflege-Leistungen, erhöhten aber die Zahl ihrer Mitarbeiter nicht entsprechend. Und: „Überzogene Forderungen“ der Wohlfahrtsverbände würden die Patienten und die Gesellschaft belasten.
Kostensteigerung von 20 Prozent in zehn Jahren?
Die Wohlfahrtsverbände in NRW streiten sich mit den Krankenkassen um die Kosten für die ambulante Pflege. Die Pflege sei für sie in den letzten zehn Jahren um 20 Prozent teurer geworden. Die Kassen hätten in dieser Zeit aber nur sieben Prozent mehr gezahlt. Pflegekräfte müssten auf einer vierstündigen Tour nicht selten 16 oder noch mehr Patienten versorgen. Das Wort von der „Discount-Mentalität“ in der Pflege macht die Runde. Und die Frage: Wie will man eigentlich Fachkräfte für einen Job gewinnen, der krank macht?
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Für die Demonstranten war abseits solcher Gefechte zwischen Arbeitgebern und Krankenkassen nur eine Botschaft wichtig: „Wir halten diesen Druck nicht mehr aus!“ Mit 60 Aktionen fordern Verbände wie Caritas, Awo und Diakonie in diesen Wochen in NRW höhere Vergütungen durch die Kassen. Haupt-Veranstaltung war gestern der Protest in Essen.