Rom. Nach tagelangem Ringen um einen neuen Staatschef in Italien ist Präsident Giorgio Napolitano von einer breiten Mehrheit für eine zweite Amtszeit wiedergewählt worden. Der 87-Jährige erhielt am Samstag 738 von 1007 Stimmen in der Wahlversammlung. Napolitano hatte sich zu der Kandidatur bereit erklärt, nachdem fünf Wahlgänge kein Ergebnis gebracht hatten.

Der neue Staatschef ist ganz der alte: Giorgio Napolitano konnte dem Druck der politischen Klasse Italiens nicht widerstehen, die ihn verzweifelt zum Rettungsanker machen wollte. Der 87 Jahre alte geschickte Vermittler im römischen Quirinale-Palast bleibt Staatspräsident. Nach einer souveränen Wiederwahl kann der Mann aus Neapel sofort verstärkt daran gehen, die Regierungskrise des hoch verschuldeten und in einer tiefen Rezession steckenden Landes zu bewältigen. Einfach wird es nicht sein, aber Napolitano blieb keine Wahl - der nationalen Einheit und dem Zusammenhalt seines Landes fühlt er sich verpflichtet. Er ist in Italien beliebt und im Ausland geschätzt.

Also kein jüngerer Staatspräsident mit neuer Dynamik, keine Frau, sondern ein Mann der alten Schule. Da der blasse Sozialdemokrat Pier Luigi Bersani zwei Bewerber bei der Wahl verheizen ließ, weil er das eigene linke Lager nicht mehr unter Kontrolle hatte, marschierten sie alle zu Giorgio: Bersani, Silvio Berlusconi, Mario Monti. Er, der das eigentlich wegen seines hohen Alters nicht wollte, soll es richten.

Fünf Wahlgänge hatten kein Ergebnis gebracht

Die politische Klasse geht auf Nummer sicher. Kein Wunder, dass der hemdsärmelige Beppe Grillo und seine gegen die Wahl Sturm laufende Protestbewegung "Fünf Sterne" (M5S) Kopf stehen. Grillo schäumt, spricht von "Staatsstreich" und fordert Millionen Anhänger zum "Marsch auf Rom" auf. Den hatte Diktator Mussolini vorgemacht.

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Vorausgegangen waren haufenweise leere Stimmzettel, gestikulierende Politiker, mal linke, dann auch wieder rechte Demonstranten vor dem Parlament in Rom. Und auch nach fünf Runden kein neuer Staatschef. Das europäische Krisenland präsentierte sich dieser Tage ganz dem Klischee vom chaotischen Italien entsprechend. Wer gedacht hatte, dass sich die Politiker nach der Decke strecken würden, um rasch einen Weg aus der Sackgasse im Parlament zu finden, wurde enttäuscht. Die "Opfer": Zwei durchgefallene Kandidaten und ein gescheiterter linker Parteichef, der jetzt den Rückzug antreten muss.

Die Lager, Parteien und Grüppchen setzten praktisch fort, was seit bald zwei Monaten das Parlament lähmt - jeder denkt an sich und seine Macht, rückt nur unter Druck von dieser Haltung ab. Jüngstes "Opfer" war am Freitag Romano Prodi, der bei der Wahl kläglich durchfiel.

Bersani galt als Hauptverantwortlicher des Dilemmas

Einer zog nach dem grandiosen Scheitern Prodis die Konsequenzen. "Verraten" von einem Viertel seiner Genossen, die seinen Vorschlag für das höchste Staatsamt boykottierten, kündigte Pier Luigi Bersani noch nachts seinen Rücktritt an. Er sieht Kräfte am Werk, die unter Schock stehende Demokratische Partei (PD) zu zerstören. Mit dem weit jüngeren Florentiner Bürgermeister Matteo Renzi als Speerspitze steht ein Gutteil der linken Partei schon seit einiger Zeit gegen Bersani.

In den ersten drei Runden verpasste die Politik die Chance, mit einer überzeugenden Mehrheit für einen Nachfolger Giorgio Napolitanos aufzuwarten: Er hätte die Tür zu einer stabilen Regierung vielleicht öffnen können. Das Ziel: Ein Wahlgesetz, das ein Patt wie derzeit im Senat künftig unmöglich macht, wichtige Wirtschaftsentscheidungen und Kürzungen bei den immensen Kosten des politischen Systems. Aber nein, die Abstimmungen der 1007 Parlamentarier erbrachten tagelang nichts.

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Während diese Runden den Stillstand im Parlament spiegelten, galt Bersani als Hauptverantwortlicher des Dilemmas. Seine Partei hatte die Parlamentswahlen im Februar knapp gewonnen, Bersani musste aber bereits bei seinem ersten Kandidaten Franco Marini auf die Stimmen des Gegners zurückgreifen, während es im eigenen Lager krachte und an "Deserteuren" nur so wimmelte. Bei Prodi wurde es noch dramatischer.

Eine Regierung hat Bersani nicht bilden können, die linke Basis ist im Chaos und empört. "Es mangelt an Mut und an starken, klaren Ideen, die überzeugend rübergebracht werden", fasste die liberale Turiner "La Stampa" das Desaster des blassen Bersani kurz zusammen. Prodis Pleite war da die entscheidende Ohrfeige für den Parteichef.

Und da ist noch Berlusconi. Wie es heißt, hat er kein sonderliches Interesse an einer Wahlrechtsreform, wünscht sich vielmehr baldige Neuwahlen. In den Umfragen, so sagt er, hat sein Mitte-Rechts-Lager die Linke seit der Februar-Wahl längst überholt. Warum also nicht neu wählen gehen? Napolitanos Wahl ist letztlich auch ein Erfolg für ihn. Die Allianz für die Wiederwahl Napolitanos könnte den Weg in eine große Koalition ebnen, die er will. Und schon ist der ehemalige Regierungschef und Minister Giuliano Amato (74) dafür im Gespräch. (dpa/afp)