Berlin/Genf. Freie Meinungsäußerung oder Rassismus? Weil Deutschland bei einer Anzeige gegen Thilo Sarrazin wegen diskriminierender Äußerungen nicht ausreichend ermittelt habe, hat der Antirassismus-Ausschuss der Vereinten Nationen die Bundesregierung gerügt. Sie hat 90 Tage Zeit, auf das Gutachten zu reagieren.

Wenn Thilo Sarrazin in einem Interview sagt, dass große Teile der türkischen Bevölkerung Berlins keinen produktiven Nutzen hätten außer für den Obst- und Gemüsehandel - ist das ein Fall von freier Meinungsäußerung oder verbotener Diskriminierung? Nur freie Meinungsäußerung ist es nicht, hat der Antirassismus-Ausschuss der Vereinten Nationen geurteilt - und Deutschland gerügt: Ein Land müsse nicht nur Gesetze gegen Diskriminierung erlassen, sondern sie dann auch gegen Diskriminierung einsetzen.

Das Interview mit Sarrazin war 2009 im Kulturmagazin Lettre International erschienen. Darin hatte das damalige Vorstandsmitglied der Bundesbank die türkischstämmigen Bürger Berlins als weniger intelligent als andere Bevölkerungsgruppen dargestellt, von Migrantengruppen gesprochen, die ständig kleine "Kopftuchmädchen" produzierten und behauptet, Türken eroberten Deutschland wie die Kosovaren den Kosovo: durch höhere Geburtenraten.

UN-Ausschuss: Deutschland muss Antidiskriminierungspolitik überprüfen

Das sei Volksverhetzung, fand der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) - und zeigte Sarrazin an. Die Justizbehörden sahen allerdings den Tatbestand der Volksverhetzung nicht erfüllt und stellten die Ermittlungen gegen den ehemaligen Finanz-Senator Berlins ein. Zu früh, urteilte das "Komitee zur Beseitigung von rassistischer Diskriminierung" (Committee on the Elimination of Racial Discrimination" (CERD): Nach der Anzeige des Türkischen Bundes, der verschiedene Migrantengruppen im Allgemeinen und türkischstämmige Berliner im Besonderen herabgewürdigt sah, sei gegen Sarrazin nicht in angemessenem Ausmaß ermittelt worden - und das sei ein Verstoß gegen die Internationale Konvention zur Beseitigung aller Formen rassistischer Diskriminierung.

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TBB-Sprecher Hilmi Kaya Turan nannte das Gutachten am Donnerstag "historisch". Der UN-Ausschuss empfiehlt der Bundesregierung, die deutsche Politik und die Methoden bei Ermittlungen wegen des Verdachts rassistischer Diskriminierung zu prüfen und zu überarbeiten. Außerdem wird die Regierung in dem Papier angehalten, das Gutachten unter Staatsanwälten und anderen Justizbehörden bekannt zu machen - und den Ausschuss innerhalb von 90 Tagen darüber zu informieren, wie es umgesetzt werden soll.

  • Das CERD-Gutachten im Wortlaut gibt es hier.