Washington/Boston. . Die noch ungeklärten Bombenanschläge auf den 117. Marathon-Lauf in Boston haben bisher mindestens drei Menschenleben gefordert. Ein achtjähriger Junge gilt bisher als das jüngste Opfer. Er hatte mit seiner Mutter und seiner Schwester am Zieleinlauf auf seinen Vater gewartet.

Bei Bombenanschlägen auf den Boston-Marathon sind mindestens drei Menschen getötet worden. Wie Ed Davis, Polizeichef der Metropole an der Küste des US-Bundesstaates Massachusetts am Montagabend bei einer Pressekonferenz berichtete, wurden bei den Explosionen im Bereich der Ziellinie des von rund 23.500 Läufern und 500.000 Zuschauern aus der ganzen Welt besuchten Ausdauerwettbewerbs nach vorläufigem Stand rund 140 Menschen verletzt, viele davon schwer.

Einem Dutzend wurden durch die Wucht der beiden im Abstand von wenigen Sekunden gezündeten Sprengsätze, die metallene Splitter und Kugeln enthielten, Arme oder Beine abgetrennt. Rund 20 Menschen schwebten am Abend in Lebensgefahr, berichteten die Behörden unter Berufung auf Ärzte in mehreren Krankenhäusern. Die Betroffenen sind zwischen 2 und 62 Jahren alt.

Bomben explodierten nahe der Ziellinie

Die beiden Sprengsätze waren am Montag gegen 14.45 Uhr Ortszeit nahe der Ziellinie an der Boylston Street in der Innenstadt Bostons explodiert, als Dutzende Hobby-Läufer gerade die Ziellinie überquerten. Die weltbesten Marathon-Asse waren zu diesem Zeitpunkt bereits unter der Dusche.

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Auf Handy-Kamera-Filmen von Zuschauern, die bei bestem Wetter auf Tribünen die Sportler nach 42 Kilometern erwarteten, war die Wucht der Explosion zu erkennen. Etliche Läufer, darunter der 78-jährige Bob Illfrig, wurden zu Boden gerissen. Er kam wie durch ein Wunder davon. Als sich der dichte Rauch legte, bot sich den Überlebenden ein Bild des Grauens. Blutlachen. Körperteile. Schwer verletzte Menschen am Boden. Trümmer auf dem Asphalt. Chaos. Panik in den Gesichtern. „Es war ein Alptraum“, sagte eine völlig entkräftete Teilnehmerin aus Miami den Reportern des Senders CNN.

Bis zu den Explosionen hatten rund 18.500 Teilnehmer die Strecke absolviert. Über 4500 sahen die Ziellinie gar nicht erst. Sie wurden vorher von der Polizei umgeleitet. Nationalgardisten bewachten bis in die tiefe Nacht ihr an der Strecke liegendes Sportgepäck.

Katastrophe wird als Terror-Anschlag eingestuft 

Auch wenn US-Präsident Barack Obama den Begriff „Terror-Anschlag“ bei seiner Ansprache im Weißen Haus gegen 18 Uhr nicht benutzte, wird die Katastrophe von Boston in Regierungskreisen als solcher eingestuft. Der Präsident warnte vor Vorverurteilungen und Schuldzuweisungen in welche Richtung auch immer, bekräftigte allerdings mehrfach, dass man die Täter dingfest machen und schonungslos zur Rechenschaft ziehen werde.

Obama, der den Angehörigen der Opfer sein Beileid aussprach, wurde von FBI-Chef Robert Mueller und Heimatschutzministerin Janet Napolitano persönlich unterrichtet. Als Vorsichtsmaßnahme wurden die Sicherheitsvorkehrungen in mehreren US-Großstädten wie Washington, New York oder Los Angeles massiv hoch gefahren. Über Boston galt zwischenzeitlich ein Flugverbot. Überall im Land wurden die Menschen zu erhöhter Wachsamkeit ermahnt.

Nach Polizeiangaben gab es weder Vorwarnungen, noch bekannte sich ein Täter oder eine Organisation bis Mitternacht zu der Tat, die weltweit publikumsintensive Sportveranstaltungen unter freiem Himmel aus Sicht von Experten in ein neues Licht rückt. In Ermangelung belastbarer Hinweise überschlugen sich in einigen Medien und im Internet die Spekulationen. Muslimische Cyber-Dschihadisten und militante Islam-Hasser versuchten aus der Tragödie mit infamen Kommentaren Kapital zu schlagen. Offizielle Islam-Verbände in vielen Teilen Amerikas kondolierten öffentlich. Ein bekannte pakistanische Diplomatin sagte stellvertretend für viele: „Bitte, lass‘ es keinen Muslim gewesen sein.“

Spekulationen über das Motiv

Anti-Terror-Experten wollten in der überschaubaren Größenordnung der Sprengsätze die Handschrift von amateurhaft agierenden radikalen Regierungsgegnern oder rechtsextremistischen Gruppen amerikanischer Herkunft erkannt haben. Als Hinweis fiel immer wieder, dass die Tat am „Patriots Day“ (Patrioten Tag) geschah, an dem in Massachusetts den Anfängen der amerikanischen Revolution gedacht wird.

Zum anderen ist der 15. April der wichtigste Tag für den US-Steuerzahler und das Finanzministerium. Anarchistische Gruppen, die den Staat und seine Finanzhoheit komplett ablehnen, könnten durch die Attentate ihren Protest gegen die Regierung geäußert haben, hieß es auf dem Sender CBS.

Perfideste Spekulation: Beim diesjährigen Boston-Marathons war die letzte Meile den Opfern des Amoklaufs von Newtown gewidmet, bei dem im Dezember 20 Grundschulkinder erschossen worden waren. Angehörige, die sich seither energisch für schärfere Waffengesetze einsetzen, waren unter den Zuschauern im Zielbereich. „Sollten fanatische Waffen-Fetischisten versucht haben, sich an Ihnen zu rächen?“, hieß es in mehreren Internet-Foren.

Im Laufe der Nacht kam es, auch über soziale Medien wie Facebook und Twitter, mehrfach zu Falschmeldungen, die es zwischenzeitlich in den Nachrichtenkreislauf der großen Agenturen schafften. So wurden später Berichte von offizieller Seite dementiert, wonach fünf andernorts in Boston entdeckte Sprengsätze rechtzeitig unschädlich gemacht worden seien. Sprecher der Bundespolizei FBI, die offiziell die Untersuchungen an sich zog, wiesen auch die Darstellung zurück, ein schwer verletzter Mann saudi-arabischer Herkunft werden in einem Krankenhaus als Tatverdächtiger behandelt - und vernommen.

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Eine Stunde nach den Explosionen an der Laufstrecke brach ein Feuer in der John-F.-Kennedy-Bibliothek in einem anderen Stadtteil aus. Verletzt wurde niemand. Ein unmittelbar vermuteter Zusammenhang mit den Marathon-Fällen erwies sich nachträglich als falsch, so das FBI. Heftigste Kritik zog sich das Boulevard-Blatt „New York Post“ zu. Es meldete schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt zwölf Tote - ohne belastbare Behördenquellen.

Die umfangreiche Medienberichterstattung über die Anschläge löste eine Welle der Hilfsbereitschaft aus. Hunderte Teilnehmer des Marathons und Zuschauer spendeten in umliegenden Kliniken Blut. So viel, bis das Rote Kreuz gegen 20 Uhr über die Medien verlauten ließ: „Genug!“. Hunderte Bostonians boten gestrandeten Läufern, die aufgrund der Absperrungen nicht mehr in ihre Hotels kamen, ein kostenloses Nachtlager an. Aus Respekt vor den Opfern sagten die Eishockey-Spieler der Boston Bruins und die NBA-Basketball-Asse der Boston Celtics ihre Profispiele ab. Auch das bekannte Symphonie-Orchester verzichtete auf einen geplanten Konzertabend.