Paris. . Kein französischer Präsident büßte schneller das Vertrauen seiner Landsleute ein als Francois Hollande. Der wohl größte Skandal: das dicke Schwarzgeldkonto von Ex-Staatschef Cahuzac. Zweifel wachsen, ob Hollande tatsächlich das Zeug zum Reformer hat, während Populisten im Land erstarken.
Es ist ein trostloses Bild: Das leck geschlagene französische Staatsschiff rollt und stampft in tosender See. Doch anstatt den schlingernden Kahn rasch wieder flott zu machen, haben Kapitän und Steuermann die Brücke einfach verlassen.
Präsident François Hollande suchte am Wochenende fern von Paris Zuflucht in seiner Provinz-Hochburg Tulle (Corrèze), und Premierminister Jean-Marc Ayrault tauchte ab auf einem Nostalgie-Trip jenseits des Rheins: in der fränkischen Universitätsstadt Würzburg, in der er einst Germanistik studierte. Derweil beschleicht die genervten Franzosen der schlimme Verdacht, dass ihr Staatschef dieselbe Krisenstrategie bevorzugen könnte wie der einstige sozialistische Parteichef Hollande: das Aussitzen.
Zuerst erschütterte ihn der so genannte Cahuzac-Skandal, dann die klebrige Steueroasen-Affäre seines schillernden Wahlkampf-Schatzmeisters Augier. So schnell und so tief ist noch keiner seiner Vorgänger im Elysée-Palast in Ungnade gefallen: Hollande, gerade erst zehn Monate im Amt, genießt nur noch die Sympathie von 27 Prozent seiner Landsleute. Der, der so euphorisch begonnen hatte, steckt in einem Jammertal, aus dem es anscheinend kein Entrinnen mehr gibt.
Haushaltsminister Cahuzac schiffte 600.000 Euro Privatvermögen heimlich am Fiskus vorbei
Cahuzac. Ausgerechnet Cahuzac, der Haushaltsminister, der mit strenger Hand erfolgreich darüber wachte, dass seine gierigen Kabinettskollegen Maß hielten und der auf jeden Cent in der Staatskasse eisern den Daumen hielt. Ausgerechnet er entpuppt sich als ein unverschämter Lügenbold, der das Parlament, den Premier und den Präsidenten aufs Übelste belog.
Es ist ein Stück aus dem Tollhaus, das sogar die Sex-Affäre um den einstigen Weltwährungschef Dominique Strauss-Kahn in den Schatten stellt: der Haushaltsminister ein gemeiner Steuerflüchtling. Einer, der offenbar mit einer gefälschten Steuererklärung - also mit großer krimineller Energie - ein Vermögen von 600.000 Euro über eine Schweizer Bank am französischen Fiskus vorbeischaffte.
Für Hollande, der im Wahlkampf bekannte, die Reichen zu hassen, und der seinen Landsleuten eine tugendhafte Republik versprochen hatte, ist dies ein GAU. Und für den einfachen Steuerzahler die Bestätigung des uralten Verdachts, dass die da oben die Republik als Selbstbedienungsladen missverstehen.
Razzia in Wohnung von IWF-Chefin Christine Lagarde
Tatsächlich handelt es sich längst um eine schwere Vertrauenskrise, die die gesamte politische Klasse erfasst – die regierenden Sozialisten ebenso wie die bürgerliche Opposition. Ex-Präsident Nicolas Sarkozy etwa hat die lästige Affäre Bettencourt am Bein, in der es um illegale Wahlkampfspenden geht.
Und dann Christine Lagarde. Die Wohnung der IWF-Chefin war im März Ziel einer Razzia. Die ehemalige Wirtschaftsministerin soll den Unternehmer Bernard Tapie, dem in der „Adidas-Affäre“ nachträglich 400 Mio Euro zugesprochen wurden, begünstigt haben.
Der angeschlagene Präsident bemüht sich, das „Erdbeben“ herunterzuspielen, indem er insbesondere die Affäre Cahuzac als Verfehlung eines Einzelnen abtut. Einen „moralisierenden Schock“ kündigte er jetzt trotzig an, und fügte hinzu: „Ich gehe bis zum bitteren Ende.“
Populisten am äußersten rechten und linken Rand profitieren von Skandalen
Je tiefer sich die politische Klasse in Skandale und Affären verstrickt, desto mehr triumphieren die Populisten am äußersten rechten und linken Rand: allen voran Marine Le Pen, die Chefin des rechtsextremen „Front National“, und der rote Volkstribun Jean-Luc Mélenchon. Zwei einflussreiche Politiker, die bald ein Drittel der Franzosen hinter sich wissen.
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Während der eine Skandalminister Cahuzac als „Dreckskerl“ anprangert und den vermeintlichen Saustall mit dem „eisernen Besen“ auszufegen gedenkt, plädiert die andere dafür, das Parlament aufzulösen und schleunigst Neuwahlen auszurufen. Andere wiederum erwarten von François Hollande eine umfassende Kabinettsumbildung oder gar eine Volksabstimmung, die die moralische Werteskala für die Herrschenden strenger ausrichten soll. Vorschläge, denen Letzterer prompt eine klare Absage erteilte.
Die Le Pens und Mélenchons tun derzeit alles, um der Flamme der Entrüstung neue Nahrung zu geben. Nicht im Parlament, sondern auf der Straße. Der 1. Mai ist für den nationalistischen „Front“ der Feiertag, an dem auf einer Kundgebung in Paris an die Volksheldin Jeanne d’Arc erinnert wird. Am Sonntag darauf will die radikale Linke die Empörten unter der roten Fahne versammeln, darunter auch jene Wähler, die Hollande genau vor einem Jahr zum Einzug in den Elysée-Palast verhalfen.
Frankreich verheddert sich in Diskussion um Homo-Ehe - trotz drohender Rezession
Frankreich gibt in diesen Tagen ein sonderbares Bild ab. Obwohl die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der EU dabei ist, in eine tiefe Rezession zu schlittern und zum kranken Mann Europas abzusteigen, beherrschen an sich eher marginale Themen die politische Debatte.
So debattiert Frankreich seit Monaten leidenschaftlich über die Frage, ob Menschen gleichen Geschlechts standesamtlich getraut werden und Kinder adoptieren dürfen. Hunderttausende gingen gegen die „Homo-Ehe“ auf die Straße. Und je wütender der Protest, desto brutaler die Polizei: Neulich setzte sie Schlagstock und Tränengas ein.
Unterdessen erreicht die Arbeitslosigkeit Monat für Monat neue Rekordwerte, die De-Industrialisierung nimmt bedrohliche Ausmaße an, und die dramatisch sinkende Wettbewerbsfähigkeit schlägt sich nieder in einem bestürzenden Rekord-Außenhandelsdefizit.
Doch Frankreichs Krise ist keine konjunkturelle, sondern eine strukturelle. Jetzt rächt sich, dass sich auch Hollandes bürgerliche Vorgänger Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy 15 Jahre vor einer Modernisierung der Sozialsysteme drückten. Fazit: Der Reformstau hat eine gefährliche Dimension.
Zeitungen zeichnen Hollande als Hobby-Bastler statt als konsequenten Reformer
Beim großen TV-Interview vor Ostern wies Hollande noch selbstbewusst auf seine „Werkzeugkiste“ hin. Damit spielte er an auf die 20 Milliarden Euro, um die er die Abgabenlast der Unternehmen senken will, sowie auf das von den Sozialpartnern ausgearbeitete flexible Arbeitsrecht. In Karikaturen findet sich Hollande seitdem als naiver Hobby-Bastler im Blaumann wider.
In Wirklichkeit steht er mit dem Rücken zur Wand. Die Zeit ist reif, den Franzosen, erst recht jenen, die sich immer noch auf einer Insel der Glückseligen wähnen, endlich reinen Wein einzuschenken. Eine schmerzhafte und unpopuläre Agenda 2020 nach Schröder’schem Vorbild könnte sich als Befreiungsschlag erweisen. Doch findet François Hollande den Mut, seinen reformunwilligen Landsleuten solche Opfer abzuverlangen?