An Rhein und Ruhr. Seit die Deutsche Bahn härter gegen Schwarzfahrer vorgeht, haben auch die Übergriffe gegen ihre Angestellten zugenommen. Sie werden bespuckt, bedroht und beleidigt. Ein Kundenbetreuer erzählt: „Von Telefonterror, Bedrohungen und Handgreiflichkeiten war in meinen 38 Dienstjahren alles dabei.“
Beim „Guten Morgen“ dehnt Andreas Lingen die Vokale gern ein wenig aus und verharrt etwas länger auf dem kleinen „n“. Das macht aus der Begrüßungsformel fast ein kleines Lied. So machen das viele Menschen dort, wo er herkommt. Wo das ist, möchte der Kundenbetreuer der Deutschen Bahn nicht sagen. Er heißt auch nicht Andreas Lingen, obwohl das auf dem silbernen Schild steht, das auf Brusthöhe seiner dunkelblauen Uniform steckt. Der Grund: Nicht alle Fahrgäste, denen Lingen während seiner Dienstzeit in den Zügen Nordrhein-Westfalens begegnet, erwidern seine Freundlichkeit. „Von Telefonterror, Bedrohungen und Handgreiflichkeiten war in meinen 38 Dienstjahren alles dabei“, sagt er, während er im Regionalexpress die Fahrausweise prüft. Erst recht, seit die Bahn bei Schwarzfahrern härter durchgreift.
Vom Drogendealer gedemütigt
Im vergangenen Jahr zeigte sie in NRW 55.795 Schwarzfahrer an. 2010 meldete sie noch 17.746 Fälle. „Wir haben unser Anzeigeverhalten verändert. Jeder Schwarzfahrer wird automatisch an die Bundespolizei weitergeleitet, nach drei Fahrten ohne Fahrkarte gibt es eine Betrugsanzeige“, führt Bahnsprecher Knut Germann aus. Nur selten werde noch ein Auge zugedrückt – etwa wenn der Fahrgast glaubhaft versichern könne, seine Abokarte vergessen zu haben.
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Andreas Lingen zählt pro Schicht zwischen zehn und 30 Reisende ohne Fahrschein. Bei Berufspendlern an Werktagen seien es weniger als am Wochenende, wenn das Partyvolk unterwegs ist. Die häufigsten Ausreden: „Der Automat war kaputt.“ „Ich hatte keine Zeit ein Ticket zu lösen.“ „Ich dachte, das Ticket ist länger gültig.“
An diesem Morgen steht er im Eingangsbereich des Zuges vor einem bulligen Mann in Jeansjacke und Kapuzenpulli – aber ohne Fahrkarte. In Moers sei der Automat defekt gewesen und in Duisburg habe er keine Zeit gehabt, einen Fahrschein zu lösen. Lingen diskutiert nicht lange, setzt die Lesebrille auf und nimmt mit seinem mobilen Terminal die Personalien auf: „Die Fahrkartenautomaten sind online vernetzt. Sollte er wirklich defekt gewesen sein, hat sich der Fall erledigt. Wenn nicht, kostet die Fahrt ohne Ticket 40 Euro.“ Bis dahin sind 27,60 Euro fällig – der reguläre Fahrpreis. Wer im Zug finanziell nicht flüssig ist, bekommt gleich die Rechnung über das „Erhöhte Beförderungsentgelt“. Stumm nickend akzeptiert der Belehrte die Bedingungen.
Freitag und Samstagabend sinkt die Hemmschwelle der Fahrgäste
„Leider ist das nicht immer so“, sagt Andreas Lingen. Insbesondere am Freitag oder Samstagabend sei die Hemmschwelle der Fahrgäste gesunken. Wegen aggressiven Schwarzfahrern, Randalierern oder betrunkenen Fahrgästen seien 2011 nach DB-Angaben allein in NRW über 30 „gravierende Übergriffe“ auf Kundenbetreuer oder Kontrolleure gemeldet worden. „Von einem Drogendealer bin ich mal angespuckt worden, das war richtig demütigend“, erinnert sich Lingen.
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Auch wenn mittlerweile die Zahl der gewalttätigen Angriffe gegenüber Bahnangestellten leicht rückläufig sei, gebe es mehr Fälle von Beleidigungen. Deshalb bietet die Bahn jedem Kundenbetreuer – so heißen die Schaffner heute – neben einem Deeskalationstraining auch die Möglichkeit, unter einem Pseudonym in den Zug zu steigen oder ganz auf ein Namensschild zu verzichten.
Freude über jedes „Guten Morgen“, das zurückkommt
Auf seinem Gang durch die Waggons wird Andreas Lingen heute nur einmal angeraunzt. Ein Hipster mit schwarzer Brille und Elvis-Tolle verdächtigt ihn, ein zweites Mal seinen Ausweis sehen zu wollen. Nur weil Lingen in die Richtung des Übellaunigen blickt.
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Solche Fälle quittiert der Kundenbetreuer nur mit einem Achselzucken. Nicht ihretwegen steige er jeden Tag in den Zug, sondern wegen der Menschen, die ihm ebenfalls einen „Guten Morgen“ wünschen. Und die sind immerhin noch in der Mehrzahl.