Berlin. Die Delegierten des FDP-Parteitags haben Rainer Brüderle zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahlen ernannt. Zuvor war Philipp Rösler erneut zum Parteichef gewählt gewählt worden. Dem Kieler Fraktionschef Wolfgang Kubicki gelang ein Überraschungscoup.
Mit scharfen Attacken auf Rot-Grün hat FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle rund 200 Tage vor der Bundestagswahl den Wahlkampf der Liberalen eingeläutet. "Ab sofort ziehen wir den blau-gelben Kampfanzug an", rief Brüderle am Sonntag den 662 Delegierten des FDP-Bundesparteitages in Berlin zu und betonte: "Wir überlassen nicht diesen Fuzzis unser Land." Mit großem Beifall kürte der Parteitag Brüderle anschließend offiziell zum Wahl-Frontmann.
Brüderle rief die FDP auf, den Kopf nicht hängen zu lassen. Der 22. September sei "Freiheitstag", denn zur Bundestagswahl sei Freiheit wählbar. Dies müsse dem Wähler nahegebracht und für die Alternative FDP geworben werden: "Mit dem umprogrammierten Steinbrück, dem Westlinken Trittin und dem Ostlinken Gysi kann man keinen Staat machen."
Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ist für Brüderle der falsche Mann am falschen Platz. "Die SPD hat keinen Kanzlerkandidaten aufgestellt, sondern eine Fettnapfsuchmaschine", sagte er. Dessen geplante Milliarden-Steuererhöhung zusammen mit dem "Mao-Zuschlag von Möchtegern-Finanzminister Jürgen Trittin" würden Hunderttausende Arbeitsplätze vernichtet. Daher dürfe Rot-Grün im Herbst nicht an die Macht kommen.
Brüderle stützt Rösler
Gleichzeitig stützte Brüderle dem neuen Kurs von Parteichef Philipp Rösler, der die FDP näher an die Menschen bringen will. So machte sich der FDP-Fraktionschef erneut für eine Geldwertstabilität im Grundgesetz stark. "Inflation ist der Taschendieb für die kleinen Leute", sagte er und bezeichnete eine mögliche Geldentwertung zur Lösung der Schuldenkrise als "soziale Schweinerei".
Außenpolitisch warnte Brüderle vor einer lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. "Die EZB darf nicht zum Reparaturbetrieb für unerwünschte Wahlausgänge werden", sagte der FDP-Fraktionschef mit Blick auf Italien. Auch Finanzhilfen für andere Länder müssten an Vorgaben gebunden bleiben. Deutschland könne und werde nicht für die Schulden anderer Länder in Europa haften.
Zugleich mahnte Brüderle die rund 59.000 FDP-Mitglieder, sich von derzeit schlechten Umfragewerten nicht schocken zu lassen. "Wir werden alle gemeinsam einen Wahlkampf hinlegen, da brennt der Baum. Wir werden erfolgreich sein."
Zuvor hatten die Delegierten Parteichef Philipp Rösler nach monatelanger Führungsdiskussion für weitere zwei Jahre im Amt bestätigt. Der 40-Jährige erhielt am Samstag auf einem Parteitag in Berlin 85,7 Prozent (534 von 623 Stimmen bei 17 Enthaltungen). Bei seiner ersten Wahl hatte er noch 95,1 Prozent bekommen. Rösler gab eigene Fehler zu und rief die Partei ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl auf, mit Team-Arbeit um den Erfolg von Schwarz-Gelb zu kämpfen.
Der nordrhein-westfälische FDP-Landeschef Christian Lindner ist neuer stellvertretender Bundesvorsitzender der Liberalen. Der 34-Jährige wurde auf einem Parteitag am Samstag in Berlin mit 77,8 Prozent erstmals ins Amt gewählt. Er erhielt 505 von 649 Stimmen. 114 Delegierte stimmten gegen ihn, 30 enthielten sich. Zum Abschluss des Parteitags soll Fraktionschef Rainer Brüderle an diesem Sonntag zum Spitzenkandidaten für die Wahl am 22. September gekürt werden.
FDP lässt zwei Bundesminister scheitern
Die FDP hat auf ihrem Parteitag gleich zwei Bundesminister abgestraft. Entwicklungsminister Dirk Niebel verlor seinen Platz im Präsidium. Auch Gesundheitsminister Daniel Bahr aus dem mächtigen Landesverband Nordrhein-Westfalen scheiterte mit dem Versuch, in das Führungsgremium zu kommen. Überraschend setzte sich der Kieler Fraktionschef Wolfgang Kubicki in zwei Wahlgängen gegen die Minister durch. Nach einer starken Bewerbungsrede holte Kubicki 63,7 Prozent. Bahr bekam nur 33,3 Prozent. Niebel war schon im ersten Wahlgang mit 25,3 Prozent gescheitert.
Für den Bundeswirtschaftsminister bedeutet die Wiederwahl auch einen großen persönlichen Erfolg. Bis zur Landtagswahl in Niedersachsen hatte es an ihm massive Kritik gegeben. Dann flog die FDP zwar aus der Regierung, schaffte aber mit fast zehn Prozent ein Rekordergebnis - und die Kritik verstummte. Mit Spannung wurden am Abend die Wahlen der drei Rösler-Stellvertreter erwartet. Auch bei der Entscheidung über weitere Präsidiumsposten gab es Kampfabstimmungen.
"Wir sind die Partei der Mitte, wir halten die Koalition auf Kurs"
In einer einstündigen Rede machte der Vizekanzler deutlich, dass er ganz auf die Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition setzt. Die FDP habe dabei die zentrale Funktion. "Wir sind die Partei der Mitte, wir halten die Koalition auf Kurs." SPD und Grünen warf er vor, Deutschland in Steuererhöhungen und neue Schulden treiben zu wollen. Nach allen Umfragen muss die FDP jedoch um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen. Im jüngsten ZDF-"Politbarometer" lag sie nur noch bei vier Prozent.
Auch interessant
Rösler gab zu, in den vergangenen beiden Jahren "manchmal auch eigene Fehler" gemacht zu haben. "Ich hoffe, dass ich daraus gelernt habe." An seine Partei appellierte er, sich von den anhaltend schlechten Umfragewerten nicht entmutigen zu lassen. "Wenn wir zusammenstehen, wenn wir uns nicht beirren lassen, werden wir auch Erfolg haben."
SPD und Grünen hielt er vor, eine "Steuererhöhungsorgie" zu planen. "Die Schulden in Deutschland haben zwei Farben: rot und grün. Und stabile Haushalte haben auch zwei Farben: nämlich blau und gelb."
Rösler machte aber auch Unterschiede zur Union deutlich. Im Streit um die volle rechtliche Gleichstellung der Homosexuellen-Ehe forderte er den Koalitionspartner auf, "sich die Lebenswirklichkeit anzusehen". Die Koalition müsse noch vor dem im Frühsommer erwarteten Urteil des Bundesverfassungsgerichts selbst aktiv werden. Einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn lehnte er weiter strikt ab. Die FDP sei aber "differenziert nach Regionen und Branchen" zur Festlegung von Lohn-Untergrenzen bereit.
Für die drei Stellvertreter-Posten gab es vier Kandidaten: Nordrhein-Westfalens Landeschef Christian Lindner sowie die bisherigen Stellvertreter Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Birgit Homburger und Holger Zastrow. Bei der Wahl der weiteren Präsidiumsmitglieder galt vor allem Entwicklungsminister Dirk Niebel als gefährdet, der bis zur Wahl in Niedersachsen einer der härtesten Rösler-Kritiker war. Um Beisitzerposten bewarben sich auch Gesundheitsminister Daniel Bahr und der schleswig-holsteinische Fraktionschef Wolfgang Kubicki. (dpa/afp)