Berlin. Ein Urteil aus Kassel sorgt für Nervosität in der Bundesregierung. Die erste wichtige Atomklage ist verloren, RWE könnte 190 Millionen Euro Schadenersatz bekommen. Ist das erst der Anfang? Die Aussichten für die Konzerne auf Milliardenzahlungen stehen wohl nicht schlecht.
Nun werden noch einmal die Protokolle von damals herausgekramt. Wer hat eigentlich was gesagt hat an jenem turbulenten 15. März 2011 im Bundeskanzleramt. Hat Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) seine klare Unterstützung signalisiert, auch die Atommeiler Biblis A und B nach den Bildern aus Fukushima für drei Monate abzuschalten? Am Ende der Sitzung mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stand fest: Acht Kernkraftwerke bleiben erst einmal vom Netz. Daraus wurde im Juni eine Stilllegung für immer.
Das holt Bund und Länder nun ein. Wenn es ganz dumm läuft, könnte die Sitzung Folgen in Höhe von bis zu 15 Milliarden Euro für den Steuerzahler haben. Als erstem Bundesland drohen nun Hessen Schadenersatzzahlungen von 190 Millionen Euro, weil der hessische Verwaltungsgerichtshof einer Klage von RWE Recht gab, wonach das Biblis-Moratorium rechtswidrig verfügt worden sei. Hessen sah sich damals als Handlanger des Bundes. Dieser sei für alle Folgen verantwortlich, sagt Bouffier heute. Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) hat nun dieses Problem auch noch an der Backe.
RWE besteht auf Forderungen
Bei der Sitzung kam es zu einem Überbietungswettbewerb, welche AKW kurz vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg besser erst einmal ruhen sollen. Bouffier wirkte wenig glücklich, ihm schien zu schwanen, dass schon an jenem 15. März das Aus besiegelt sein könnte. "In Biblis haben die Menschen Angst um ihre Arbeit", betonte er auf der Pressekonferenz. Minister Altmaier muss nun mit Hessens Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU) klären, wer die Last schultern muss. RWE lässt keinen Zweifel, dass man auf die 190 Millionen Euro pochen wird nach dem Urteil. "In einem nächsten Schritt werden wir in ein zivilrechtliches Verfahren gehen", sagt eine RWE-Sprecherin.
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Bei dem Biblis-Verfahren geht es nur um die Begründung für das dreimonatige Moratorium. Die anderen Konzerne verzichteten auf Klagen gegen das Moratorium. Wohl auch, um eine letzte Hoffnung auf einen Weiterbetrieb nach den drei Monaten nicht zu gefährden. Das damals noch von Minister Norbert Röttgen (CDU) geführte Haus kramte den Paragraf 19, Absatz 3 des Atomgesetzes heraus. Danach kann die Abschaltung eines AKW verlangt werden, wenn Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter bestehen. Röttgen begründete diesen Schritt mit der Vorsorge nach dem Atomunglück von Fukushima.
Urteil nicht vor 2014
Die hessische Atom-Aufsichtsbehörde betont nun, sie habe "die verbindliche Vorgabe des Bundesumweltministeriums am 18. März 2011 vollzogen" - und verweist damit auf einen Zwang. Doch egal, wer letztlich zahlt, das Ganze könnten nur "Peanuts" sein. Ein führender Branchenvertreter sagt, er würde darauf wetten, dass das Bundesverfassungsgericht der entschädigungslosen Stilllegung der Eon- und RWE-Meiler nach dem Moratorium widersprechen wird. Erwartet wird ein Urteil nicht vor 2014, eine erste Anhörung noch vor der Bundestagswahl ist unwahrscheinlich. Die Regierung ist überzeugt, dass der schrittweise Ausstieg bis 2022 juristisch wasserdicht ist.
Eon pocht auf rund acht Milliarden Euro Schadenersatz, RWE angeblich auf etwa vier Milliarden. Hinzu kommen laut schwedischen Medien 3,5 Milliarden Euro, die Vattenfall für die AKW Krümmel und Brunsbüttel erstreiten will. Der schwedische Staatskonzern hat nach Angaben eines Sprechers das Internationale Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten in Washington um die Konstituierung eines Schiedsgerichts ersucht. "Die Konstituierung ist am 25.2.2013 erfolgt", betont der Sprecher. Hier könnte es also schon in einigen Monaten Neues geben. "Ich bin mir sehr sicher, das wird für die Bundesregierung böse enden in Washington", sagt ein Energiemanager.
Branche spricht von Enteignung
Die Branche spricht von einer Enteignung, zumindest müsse der Restwert bezahlt werden. Auch in Regierungskreisen war schon 2011 besonders das Aus für Krümmel als Schwachpunkt ausgemacht worden. Denn der Meiler gehört nicht wie die sieben anderen zu den ältesten, die bis 1980 ans Netz gingen. Die Grünen nannten die Anlage nach einem Trafobrand außerhalb des Reaktorgebäudes "Pannenmeiler" - und setzten die Regierung damit unter Druck.
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In einer Expertenanhörung im Umweltausschuss am 8. Juni 2011 hatte ein Jurist moniert, das Vorgehen zur Stilllegung von acht Anlagen und der schrittweisen Abschaltung der neun verbleibenden AKW bis 2022 öffne Schadenersatzklagen Tür und Tor. Die Bundesregierung begründe nicht, warum etwa Unterweser sofort stillgelegt werden müsse, Gundremmingen B 2017 vom Netz müsse, der ebenfalls 1984 ans Netz gegangene Meiler Gundremmingen C aber bis 2021 laufen dürfe.
SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber betont, diese Milliardenrisiken hätte man sich sparen können. Denn beim ursprünglich vereinbarten Atomausstieg der rot-grünen Regierung hatten die Energiekonzerne das Aus ihrer Meiler gebilligt. Doch mit der Laufzeitverlängerung 2010 unter Schwarz-Gelb wurde der Vertrag nichtig. (dpa)