Brüssel. Fast eine Billion Euro stellen Deutschland und andere Mitgliedsstaaten der Europäischen Union in den kommenden sieben Jahren zur Verfügung. EU-Haushaltskommissar Janusz Lewandowski hätte sich noch mehr Geld für Europa gewünscht. Dennoch blickt er zuversichtlich in die Zukunft.
Er wollte mehr Geld – aber muss sich künftig mit weniger als bisher begnügen. Kein Wunder, dass EU-Haushaltskommissar Janusz Lewandowski unzufrieden ist mit den fast eine Billion Euro, die Deutschland und die anderen Staaten in den sieben nächsten Jahren in die EU-Kasse überweisen wollen. Trotzdem, sagt Lewandowski im Gespräch mit dieser Zeitung, könne er dem hart erkämpften Budget-Kompromiss von Ende voriger Woche etwas Gutes abgewinnen.
Doch zuerst übt er Kritik. „Die EU hat von 2014 bis 2020 fast 40 Milliarden Euro weniger zur Verfügung als im aktuellen Sieben-Jahres-Zeitraum“, sagt der gebürtige Pole. „Wir machen daher das historische Experiment, wie man 'Mehr Europa' mit weniger Geld hinbekommt.“ Die Staaten verlagerten immer mehr Aufgaben von der nationalen auf die EU-Ebene, sagt Lewandowski. Zudem trete bald Kroatien der EU als 28. Mitgliedsland bei.
Haushalt gibt Stabilität
Etwas Positives kann Lewandowski dem aus seiner Sicht „unmodernen“ EU-Haushaltskompromiss dennoch abgewinnen. „Zumindest gibt es nun einen Finanzrahmen für die nächsten Jahre – und damit Stabilität sowie Vorhersagbarkeit“, betont er. „Das ist wichtig, damit Kommunen, Städte, Unternehmen oder Forschungseinrichtungen wie Universitäten längerfristig mit EU-Geldern planen und mehrjährige Projekte starten können.“
Dass Lewandowski so zuversichtlich ist, begründet er auch mit seiner Vergangenheit im einst sozialistischen Polen. Dort war er bei der Gewerkschaft Solidarność aktiv, die als treibende Kraft von Polens politischem Umbruch in den 1980ern gilt. „Ich habe so viele dramatische Ereignisse überlebt – ich habe miterlebt, wie Staaten noch viel größere Krisen bewältigten als die, die Europa derzeit durchstehen muss“, sagt der 62-Jährige. „Das machte mich zum Optimisten.“
Nachverhandlungen sind weiterhin möglich
Zudem weiß der EU-Haushaltskommissar, dass es Spielraum für Nachverhandlungen gibt. Das EU-Parlament muss Europas nächstem Mehrjahres-Budget zustimmen. Parlamentschef Martin Schulz (SPD) und viele EU-Abgeordnete haben mehrfach und lautstark Nachbesserungen gefordert.
„Ich erwarte, dass das EU-Parlament erst einmal 'Nein' sagt und klare Bedingungen stellt, unter denen es den Finanzrahmen billigen würde“, sagt Lewandowski. „Das EU-Parlament ist schließlich die einzige politische EU-Einrichtung, die wirklich europäisch denkt.“
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Wünschenswert sei, sagt der EU-Budgetkommissar, dass überschüssige EU-Gelder nach einem Haushaltsjahr nicht mehr wie bisher an die Staaten zurück fließen, sondern ins nächste Jahr übertragen werden könnten. Zugleich sollten Gelder zwischen den diversen Fördertöpfen umgeschichtet werden. Ähnliche Forderungen stellen EU-Abgeordnete.
Mehr Geld sei aber wohl nicht drin, bedauert Lewandowski. „Das würde Großbritannien nicht mitmachen.“
Großbritannien will höherem Budget nicht zustimmen
Der britische Premierminister David Cameron hatte klargemacht, dass er einem höheren Budget in Krisenzeiten wie diesen keinesfalls zustimmen werde. Da die 27 EU-Staaten einstimmig beschließen müssen, mit wie viel Geld sie die EU-Kasse füllen, kam beim jüngsten Budgetgipfel niemand um Cameron herum.
Dieses Prinzip der Einstimmigkeit bei Entscheidungen auf EU-Ebene, bedauert Lewandowski, lasse kaum Spielraum, um den EU-Haushalt zu modernisieren: „Wir zementieren die Ausgaben-Struktur.“ Die Briten seien aber nicht allein dafür verantwortlich. „Es war die deutsche Strategie, die Briten beim Budget an Bord zu halten – und das hat einen Preis“, sagt er. „Der Preis waren vor allem Kürzungen bei den EU-Töpfen für Landwirtschaft und Regionalförderung.“
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Diese zwei Töpfe, aus denen Deutschlands Bauern und Regionen reichlich Zuschüsse sowie Fördermittel erhalten, machen jedoch weiterhin den Großteil des EU-Haushalts aus. Allein im Bereich Landwirtschaft sind für die nächsten sieben Jahre 363 Milliarden Euro vorgesehen – mehr als ein Drittel des Gesamt-Budgets.
Mehr Gelder für kleine Unternehmen und die Wissenschaft
Immerhin hätten die Staaten den Bereich „Wettbewerbsfähigkeit“ gestärkt. Diese EU-Gelder fließen an kleine und mittlere Unternehmen, an Forschungseinrichtungen oder an Studierende, die eine Zeit lang an eine ausländische Universität möchten („Erasmus-Programm“).
„In den nächsten sieben Jahren stehen hier 125,6 Milliarden Euro zur Verfügung – im aktuellen Zeitraum sind es insgesamt 91,1 Milliarden Euro“, sagt Lewandowski. Das ist zwar viel Geld. Doch bezogen aufs Gesamt-Budget der nächsten Jahre machen diese „zukunftsgerichteten“ Ausgaben lediglich einen Anteil von 13 Prozent aus.
Geringere Investitionen in Infrastruktur, Energie und Telekommunikation
In anderen Bereichen, die Europas Wirtschaft ankurbeln sollen, strichen die Staaten die Geld-Wünsche der EU-Kommission drastisch zusammen. Für den Ausbau von Transportwegen, Energie- oder Telekommunikations-Leitungen quer durch Europa bewilligten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Amtskollegen für die nächsten sieben Jahre insgesamt 29 Milliarden Euro EU-Fördergelder – etwa drei Prozent des Gesamtbudgets. Die EU-Kommission hatte hierfür 50 Milliarden Euro verlangt.
„Bei derartigen wichtigen Großprojekten ist es oft schwer, private Unternehmen zum Investieren zu bewegen, wenn es keine EU-Zuschüsse gibt“, sagt Lewandowski. Auch deswegen nennt er den Haushalts-Kompromiss für 2014 bis 2020 „unbefriedigend“: „Ein zukunftsorientiertes Budget sieht anders aus.“