Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre EU-Kollegen haben über Nacht ein historisches Sparbudget geschnürt - erstmals in der Geschichte schmilzt der Gemeinschaftstopf. Doch noch vor dem formellen Beschluss schimpfte EU-Parlamentschef Martin Schulz über ein “Täuschungsmanöver“ und hält das Veto der Volksvertreter für ausgemacht.
Brüssel (dapd). Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre EU-Kollegen haben über Nacht ein historisches Sparbudget geschnürt - erstmals in der Geschichte schmilzt der Gemeinschaftstopf. Doch noch vor dem formellen Beschluss schimpfte EU-Parlamentschef Martin Schulz über ein "Täuschungsmanöver" und hält das Veto der Volksvertreter für ausgemacht. Der Kraftakt des Gipfels könnte sich schnell als wertlos erweisen, wenn das Parlament Ernst macht. Der Grund: Um den sparwütigen Briten entgegenzukommen, sollen die tatsächlichen Ausgaben bis 2020 auf 908 Milliarden Euro begrenzt werden. Doch ins Fenster stellen die Staats- und Regierungschefs 960 Milliarden Euro.
Nicht nur für Schulz ergibt sich dadurch de facto ein 52-Milliarden-Defizit. "Wir sind ja nicht gegen Kürzungen - im Gegenteil, der Haushalt soll ja auf 960 Milliarden Euro gekürzt werden", sagte der SPD-Politiker im ZDF-"Morgenmagazin". Aber die Abgeordneten wollten dafür auch die Gelder zur Verfügung gestellt sehen. "Was hier gerade läuft, das ist ein ziemliches Täuschungsmanöver", zeterte Schulz. "Das findet keine Zustimmung des Europäischen Parlaments."
Tatsächlich gleicht der sogenannte Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) einer Mogelpackung. Doch die schien notwendig, damit Briten-Premier David Cameron den Durchbruch nicht schon im Rat platzen ließ. Ohne die von ihm geforderten Kürzungen gebe es "keinen Deal", hatte er gedroht. Das Geschacher war so verfahren, dass die EU-Spitzen am Freitagmorgen eine Pause einlegen mussten - um letzte Kraftreserven für die endgültige Einigung zu mobilisieren.
Sicherheitsnetz für Ostdeutschland
Mit dem Vorschlag, den Gipfelchef Herman Van Rompuy am Mittag auf den Tisch legen wollte, müssen alle 27 Streithähne als Sieger zurück in ihre Hauptstädte fliegen können.
Die wichtigsten Eckpunkte des Entwurfes:
- Die sogenannten Verpflichtungsermächtigungen, also die erlaubten Finanzierungszusagen in den Jahren 2014 bis 2020, schrumpfen von 993 auf 960 Milliarden Euro.
- Die tatsächlichen Ausgaben werden auf 908 Milliarden Euro gedeckelt, was einem Minus von 34 Milliarden Euro entspricht.
- Gespart wird vor allem bei den Agrarsubventionen und bei den Struktur- und Kohäsionshilfen für schwache Regionen.
- Für Wettbewerb, Wachstum und Beschäftigung werden Zusagen von 125,7 Milliarden Euro gegeben, das sind 34 Milliarden mehr als von 2007 bis 2013.
- Briten und Deutsche können ihre Rabatte verteidigen.
- Der deutsche Nettobeitrag steigt trotzdem: wegen der guten Wirtschaftslage und weil die Regionen in Ostdeutschland aus der Höchstförderung rausfallen. Allerdings erhalten sie weiter mindestens 60 Prozent der bisherigen Förderung plus Schecks von insgesamt 720 Millionen Euro.
- Sechs Milliarden Euro erhalten die europäischen Regionen, in denen mindestens 25 Prozent der Jugendlichen keinen Job haben.
Frankreich und viele Krisenländer im Süden und Osten Europas wollten die Einsparungen vermeiden, konnten sich aber nicht gegen die "Geberländer" durchsetzen. Mit einem Deckel von 960 Milliarden Euro landeten die Verhandlungen exakt dort, wo Kanzlerin Merkel sie haben wollte: bei einem Prozent des Bruttonationalproduktes.
Ein typischer EU-Kompromiss
Doch ist der Konflikt mit dem Parlament überhaupt zu lösen? Ja, heißt es aus Delegations- und Ratskreisen. "Flexibilisierungselemente" sollen aus der Mogelpackung ein seriöses Gesamtpaket machen: Wird zugesagtes Geld nicht oder nicht pünktlich abgerufen, dann soll es anders als bisher nicht an die Mitgliedstaaten zurückfließen - sondern in leere Töpfe gesteckt oder für künftige Rechnungen reserviert werden. So soll das strukturelle Defizit aufgelöst werden. Die Zahlungen würden "so gestaltet, dass die EU ihren Verpflichtungen voll nachkommen kann", wird in Delegationskreisen beteuert. Dazu wäre auch das Parlament bereit, deutete Schulz in Brüssel an. Seine Bedingung: Die Abgeordneten müssten selbst die Mittel umwidmen können - der Rat dürfte keine Blockademöglichkeit mehr haben.
Das hört sich an wie ein typischer EU-Kompromiss - kompliziert und nahezu undurchschaubar. Doch dürfte genau darin das Kalkül liegen: Cameron kann sich mit der offiziellen Ausgabenobergrenze von 908 Milliarden Euro von seinen Landsleuten als Vorkämpfer gegen die angebliche Brüsseler Verschwendungswut feiern lassen. Und das Parlament könnte so letztlich doch dafür sorgen, dass alle Verpflichtungen tatsächlich erfüllt werden.
dapd