Berlin. . Das Kindergeld: wenig effektiv. Das Ehegatten-Splitting: ziemlich unwirksam. Die Mitversicherung des Ehepartners: besonders unwirksam. Gutachter fällen ein vernichtendes Urteil über die staatlichen Leistungen für Familien in Deutschland.
Milliarden für die Katz’: Viele familienpolitische Leistungen sind weitgehend wirkungslos oder gar kontraproduktiv. Zu diesem vernichtenden Ergebnis sind von der Regierung eingesetzte Gutachter in einer Studie gekommen, berichtet der „Spiegel“. Die Forscher sollten prüfen, wie hilfreich Staatsleistungen für Familien sind. Für sinnvoll halten die Experten vor allem den Ausbau von Betreuungsplätzen, wie aus dem Zwischenbericht hervorgeht.
Wie viel Geld pumpt der Staat in die Familie und die Ehe?
2010 waren es 200,3 Milliarden Euro und damit 5,4 Milliarden Euro mehr als im Jahr zuvor. Das Geld ist laut Familienministerium in 156 Maßnahmen geflossen. Allein die familienbezogenen Leistungen haben 125,5 Milliarden verschlungen, wobei das Kindergeld mit 38,8 Milliarden Euro der dickste Brocken war. 74,8 Milliarden Euro ließ sich der Staat die ehebezogenen Leistungen kosten, darunter 19,8 Milliarden Euro für das umstrittene Ehegattensplitting.
Wie hat sich die Geburtenrate in Deutschland entwickelt?
1964 kamen knapp 1,4 Millionen Kinder zu Welt. 2011 waren es rund 663 000. Fast zeitgleich ist die Geburtenrate von mehr als 2,5 auf 1,39 Kinder je Frau (in 2010) gesunken. Damit zählt Deutschland zu den Schlusslichtern in der EU. Immerhin ist die Geburtenrate nicht mehr ganz so niedrig wie Mitte der 80er Jahre, als sie bei 1,28 Kindern je Frau lag.
Das Kindergeld verschlingt Milliarden. Hat es einen positiven Effekt?
Für das erste Kind erhalten Eltern derzeit 184 Euro im Monat. Das ist inflationsbereinigt etwa dreimal so viel wie in den 70er-Jahren mit 50 Mark. Trotz der Steigerung halten die Studienautoren das Geldgeschenk für „wenig effektiv“. Es sei ein „fiskalisch relativ teurer Weg der Armutsvermeidung“ und habe „beschäftigungspolitisch keine günstigen Wirkungen erzeugt“, so der Spiegel. Denn ärmere Familien haben nichts vom Kindergeld, da es mit Sozialleistungen wie Hartz IV verrechnet wird. Außerdem trägt eine Erhöhung des Kindergeldes Studien zufolge tendenziell dazu bei, dass Mütter zu Hause bleiben. Das ist gleich mehrfach kontraproduktiv: Dem Staat entgehen Einnahmen bei Steuern und Sozialversicherungen, während Mütter mit längeren Berufspausen später mit weniger Einkommen rechnen müssen. So lägen die Kosten einer Kindergelderhöhung „in etwa beim Doppelten der nominalen direkten Kosten“, heißt es in dem Bericht.
In der Politik ist das Ehegattensplitting umstritten. Zu Recht?
Offensichtlich schon. Die Studie kritisiert das Ehegattensplitting als „ziemlich unwirksam“. Problematisch ist es in mehreren Punkten: Es begünstigt vor allem die Alleinverdienerehe, weil das Gehalt beider Eheleute erst addiert, dann halbiert und besteuert wird. Damit fördert das Splitting ein traditionelles Familienbild, wo die Frau zu Hause bleibt. Alle unverheirateten Paare oder Alleinerziehende gehen leer aus. In der Kritik ist das Ehegattensplitting auch, weil es keine Rolle spielt, ob man Nachwuchs hat oder nicht. Während die Union am Ehegattensplitting festhält und allenfalls ein „Familiensplitting“ erwägt, will die SPD es abschaffen. Für viele Bürger wäre das wohl verschmerzbar. Nach einer Allensbach-Umfrage finden zwei Drittel, dass der Staat lieber beim Ehegattensplitting sparen sollte, als bei anderen Leistungen für Familien.
Welchen Sinn macht die beitragsfreie Mitversicherung?
Die Autoren der Regierungsstudie halten die Mitversicherung über den Ehepartner für „besonders unwirksam“. Sie hält verheiratete Frauen eher ab, einen regulären Job anzunehmen. Denn die Mitversicherung ist unter anderem nur dann möglich, wenn man nicht mehr als 385 Euro im Monat (bei einem Minijob 450 Euro) verdient. Wenn Frauen aber vom Arbeitsplatz fern bleiben, droht ihnen die Altersarmut. Die Gutachter warnen daher vor „kontraproduktiven Effekten“.
Wo ist Familienpolitik besonders widersprüchlich?
Vor allem bei der Kinderbetreuung. Einerseits forciert die Koalition den Kita-Ausbau. Das ist im Hinblick auf die frühkindliche Bildung sinnvoll. Zudem kann ein Betreuungsplatz für das Kind der Mutter helfen, schneller in den Beruf einzusteigen. Auf der anderen Seite ermuntert das Betreuungsgeld Frauen, ihre Kinder zu Hause zu erziehen und nicht arbeiten zu gehen.
Welche familienpolitischen Maßnahmen sind wirksam?
Vor allem der Ausbau der Kinderbetreuung. Die Gutachter meinen belegen zu können, dass bei wachsendem Angebot an Betreuungsplätzen wenige Jahre später die Geburtenrate steigt. Dies habe die Entwicklung in einigen westdeutschen Landkreisen gezeigt. Ferner sind die Selbstfinanzierungsraten offenbar hoch. Demnach fließen von den Staatsausgaben im Krippen- und Kindergartenbereich zwischen 41 und 48 Prozent an den Staat zurück. Bei Ganztagsschulen sind es sogar 66 bis 99 Prozent.