Berlin. . Nach den ersten Erfolgen bei Landtagswahlen in Berlin, Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen hat sich bei der Piratenpartei die Stimmung dramatisch verschlechtert. Es fehlt an Spitzenpersonal und zündenden Ideen für Themen außerhalb von Internet und Urheberrecht.

Vom Entern zum Kentern ist es nicht weit: Kein Jahr ist es her, da stürmten die Piraten die Landtage. Doch seit der desaströsen Niedersachsenwahl drohen die Freibeuter in der Bedeutungslosigkeit abzusaufen. Nun streiten sie, wie sie sich stärker positionieren können und wie weit der Vorstand künftig eigenmächtig nach vorne preschen darf. Hilfreich wäre auch eine weitere gemeinsame Idee, wofür die Polit-Neulinge eigentlich stehen. Doch die ist nicht in Sicht.

Blasses Personal

In der Partei, wo „Themen statt Köpfe“ zählen, hasst man die Personaldebatte. Dennoch: Den Piraten fehlen Köpfe mit positivem Wiedererkennungswert. Den hatte die ehemalige Bundesgeschäftsführerin Marina Weisband. Ein Ersatz ist nicht in Sicht. Stattdessen produzierte der Vorstand ab dem Sommer Pleiten, Pech und Pannen, die in zwei Rücktritten gipfelten. Weisband-Nachfolger Johannes Ponader fordert nun eine vorgezogene Neuwahl der Spitze.

Fehlender Spielraum

Von der Beinfreiheit, die Peer Steinbrück bei der SPD einforderte, kann der Piratenvorstand nur träumen. Sein Job ist es, den Posten zu verwalten. Nun wollen sich die Ober-Piraten deutlicher eigenmächtig zu Wort melden. „Ich werde mich wieder stärker politisch äußern“, sagte Vize-Chef Sebastian Nerz. Denn: „Wir haben zuletzt primär reaktiv gehandelt und nicht aktiv“. Der Bundesvorstand müsse künftig stärker inhaltliche Impulse setzen, auch wenn das die Kritik der Basis provoziere, meinte Parteichef Bernd Schlömer. Themen und Köpfe? Das wäre ein Bruch der Piratenideale. Postwendend gab es Rücktrittsforderungen gegen Schlömer.

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Auf die Freibeuter kommt eine heftige Strategiedebatte zu. Dabei werden sie auch klären müssen, wie stark sie sich professionalisieren, etwa durch bezahltes Personal. Damit würden die Freibeuter aber ihren Nimbus des Andersseins einbüßen. Ein kaum zu lösendes Dilemma.

Schwierige Entscheidungen

Wollen sich die Piraten profilieren, brauchen sie Inhalte. Diese wollten sie auf dem Parteitag im November liefern. Doch dort verzettelten sie sich in Endlosdiskussionen. Viel mehr als die Präambel blieb nicht übrig. Die Partei braucht ein Verfahren, um Inhalte zu beschließen. Im Gespräch ist die ständige Mitgliederversammlung – eine Art permanenter Online-Parteitag.

Keine Megathemen

In den Kernbereichen Urheberrecht, Internet und Forderung nach Transparenz sind sich die Piraten einig. Aber sonst? „Bei den Piraten gibt es keinen Konsens, was sie eigentlich wollen“, sagt der Politologe Carsten Koschmieder. Da von konservativ bis links alle Strömungen vertreten sind, bleibt am Ende oft nur der kleinste gemeinsame Nenner: siehe Wirtschaftspolitik.

Maue Aussichten

Letztes Jahr taugten die forschen Polit-Neulinge als Projektionsfläche für viele frustrierte Wähler. Dass dies vorbei ist, dämmert immer mehr Piraten. „Wir haben es verkackt“, schrieb beispielsweise Basispirat Jan Leutert in seinem Blog nach der Niedersachsenwahl, forderte mehr Selbstkritik und einen Neustart.

Dass das vor der Bundestagswahl gelingt, ist zweifelhaft. „Die Piraten sind nun von der politischen Großwetterlage abhängig“, meint der Göttinger Politologe Stephan Klecha. „Wenn sich eine große Koalition abzeichnet, dann haben sie eine Chance auf den Einzug in den Bundestag.“ Andernfalls kaum.