Berlin. . Der Patientenbeauftragte der Regierung, Wolfgang Zöller (CSU), befürchtet, dass die Skandale bei der Organvergabe noch kein Ende haben. Dabei werde es sich wohl nicht um aktuelle Fälle handeln, sondern um Verstöße vor den Gesetzesänderungen zur Organvergabe.

Es ist eine Mammutaufgabe. Die Regierung will die Pflege hilfsbedürftiger Menschen neu regeln. Seit Frühjahr 2012 arbeitet der Pflegebeirat an einem Konzept. Dabei solle kein Pflegebedürftiger schlechtere Leistungen bekommen als bisher, sagt Wolfgang Zöller (CSU). Was die Bürger künftig erwartet, erklärte der Leiter des Pflegebeirats im Interview. Zugleich forderte der Patientenbeauftragte der Regierung strengere Gesetze gegen Ärztekorruption und Mediziner, die bei der Organvergabe Patientendaten manipulieren. Zöller geht davon aus, dass noch weitere Transplantationsskandale ans Tageslicht kommen.

Wie sieht eine gute Pflege aus?

Zöller: Wir müssen weg von der Minutenpflege. Künftig geht es stärker darum, wie man den Betroffenen ihre Selbstständigkeit wiedergeben kann.

Der Pflegebeirat arbeitet derzeit an einer Reform. Wie soll die aussehen?

Zöller: Künftig gibt es statt drei Pflegestufen fünf Pflegegrade, die die Selbstständigkeit des Betroffenen abbilden. Anders als früher sind Demenzkranke schon per Definition bei der Begutachtung mit in das System aufgenommen.

Wie wird die Begutachtung laufen?

Zöller: Es wird geprüft, ob die Personen (überwiegend) selbstständig oder (überwiegend) unselbstständig sind. Dazu befragt man die Personen in acht Bereichen: Mobilität, Verhalten, Kommunikation, Selbstversorgung, Alltagsverrichtung, Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen, außerhäusliche Aktivitäten und Haushaltsführung. Daraus ermittelt man den Pflegegrad von eins bis fünf.

Was bedeutet dies für die Menschen, die schon Leistungen erhalten?

Zöller: Der neue Ansatz, die Selbstständigkeit in den Fokus zu nehmen, wird auch denen zugutekommen, die jetzt schon Leistungen beziehen.

Müssen die bisherigen Pflegefälle damit rechnen, weniger Geld zu bekommen?

Zöller: Nein, es gibt einen Bestandsschutz. Das heißt auch: Wenn man es mit dem neuen Pflegebegriff ernst nimmt, entstehen zusätzliche Kosten. Genaue Beträge gibt es noch nicht.

Das neue System will die Selbstständigkeit der Pflegefälle stärken. Was heißt das für die Leistungen?

Zöller: Bisher war es so: Man kommt in eine Pflegestufe, bleibt schlimmstenfalls dort und wartet nur auf die nächst höhere. Das neue System wird stärker Leistungen berücksichtigen, die die Selbstständigkeit stärker fördern. Ein Beispiel: Künftig füllt der Medizinische Dienst bei der Begutachtung automatisch eine Rubrik aus: Ist eine Reha sinnvoll oder nicht? Das können die Kassen dann schlecht ablehnen.

Wenn ein Patient wieder fitter wird, müsste er dann folgerichtig weniger bekommen. Wie wollen Sie da Mitnahmeeffekte vermeiden?

Zöller: Das kann man nicht, es sei denn, man würde unwahrscheinlich viel Kontrollpersonal einsetzen. Wir müssen hier auch an die Moral aller Beteiligter appellieren. Ohne Moral fahren Sie jedes Sozialsystem an die Wand.

Bleiben wir beim Thema Moral. Zwischen 2008 und 2012 haben die Ärztekammern rund 1000 Verfahren wegen Korruptionsverdachts gegen Mediziner eingeleitet. Ist das nur die Spitze des Eisbergs?

Zöller: Ich denke nicht. Aber: Wir brauchen ein strengeres Berufsrecht für Ärzte. Die Konsequenzen für korrupte Mediziner müssen wesentlich schärfer werden – bis hin zum Entzug der Zulassung. Es muss auch im Interesse der Ärzte sein, sich von den schwarzen Schafen schnell zu trennen.

Denken Sie an weitere Sanktionen?

Zöller: Wir sollten das Heilmittelwerbegesetz verschärfen. Verstöße in diesem Bereich sollten künftig nicht mehr als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftat gelten. Dann könnte automatisch die Staatsanwaltschaft ermitteln. Dazu müssen Bund und Länder jetzt rasch die Voraussetzungen schaffen. Noch in diesem Monat muss etwas passieren, sonst wird es schwierig, strengere Gesetze noch in dieser Legislaturperiode umzusetzen.

Ein Gesetzentwurf aus der Koalition sieht nun vor, dass die Ärztekammern Verstöße von Medizinern an die Behörden melden können. Reicht das nicht aus?

Zöller: Nur die Meldung ist zu wenig. Es muss auch Sanktionsmöglichkeiten geben.

Bundesärztekammerpräsident Montgomery fordert polizeiähnliche Kompetenzen für die Ärztekammern, um gegen schwarze Schafe vorzugehen.

Zöller: Ich halte von einer Medizinpolizei ebenso wenig wie von einem separaten Korruptionsrecht für Ärzte. Dann müssten wir dies auch für alle anderen freien Berufe machen.

"Es werden weitere Fälle ans Tageslicht kommen"

Göttingen, München, Regensburg, Leipzig: Die Transplantationsskandale scheinen kein Ende zu nehmen.

Zöller: Ich gehe davon aus, dass weitere Manipulationsfälle ans Tageslicht kommen. Dabei wird es sich aber nicht um aktuelle Fälle handeln, sondern um Verstöße vor den Gesetzesänderungen zur Organvergabe im vergangenen Jahr. Denn unsere bereits im letzten Jahr beschlossenen Änderungen zum Transplantationsgesetz greifen bereits: Durch die neuen Instrumente wird nun alles aufgedeckt. Das ist „erfreulich“ und bitter zugleich. Denn vorübergehend dürfte die Spendebereitschaft noch weiter sinken.

Die liegt bereits jetzt am Boden. 37 Prozent der Bürger wollen ihre Organe nicht mehr spenden.

Zöller: Die Ärzte, die Akten gefälscht haben, haben dem Transplantationssystem immens geschadet. Ihr unverantwortliches Verhalten kostet Menschenleben, weil die Spendebereitschaft sinkt und die Transplantationen zurückgehen. Solche Leute gehören aus dem Verkehr gezogen – und zwar durch eine Verschärfung des Berufsrechts.

Wie kann man das Vertrauen in die Organspende wieder herstellen?

Zöller: Durch Transparenz und Aufklärung. Aber klar ist: Es wird garantiert ein oder zwei Jahre dauern, bis der Vertrauensverlust behoben ist.

Sollte die Organvergabe in staatliche Hände?

Zöller: Nein. Der Staat kann das auch nicht besser als die Deutsche Stiftung Organtransplantation. Außerdem dürfte es theoretisch keine neuen Manipulationsfälle geben, da nicht mehr Einzelpersonen über die Vergabe entscheiden.

Muss man die Zahl der Transplantationszentren verringern?

Zöller: Wichtig ist die Qualität. Dazu brauchen die Zentren aber eine gewisse Anzahl von Transplantationen. Ein Zentrum, das nur fünf bis zehn Organverpflanzungen im Jahr vornimmt, halte ich nicht für qualitätsgesichert.