Emden. . Beim Auftakt zum Wahlkampf-Endspurt in Niedersachsen gibt der SPD-Kanzlerkandidat den Politik-Entertainer, bleibt betont sachlich - und geht nicht auf die Vorwürfe ein, er habe mit mehreren unbedachten Äußerungen seine eigenen Ambitionen bereits vermasselt.

Es wäre nicht Peer Steinbrück, wenn auf der Bühne in der Emdener Nordseehalle ein zerknirschter Kanzlerkandidat stünde. "Ich mach' das mal etwas anders als sonst", sagt der Spitzenmann der SPD für die Bundestagswahl am Freitagabend. Vor etwa 1500 Zuhörern in der ostfriesischen Provinz läutet er die heiße Phase im Wahlkampf für die niedersächsische Landtagswahl am 20. Januar ein. Statt ans Rednerpult zu gehen, bleibt der 65-Jährige daneben stehen, die linke Hand in der Hosentasche, in der rechten Hand das Mikrofon. Das bewahre ihn davor, zu lange zu sprechen, und auch vor "Bemerkungen, die ich anschließend wieder einfangen muss". Mit keinem Wort geht er auf seine Äußerung zum Jahreswechsel ein, dass der Kanzler schlecht bezahlt sei.

Steinbrück tut an diesem Abend, was die SPD von ihm erhofft: Er füllt und unterhält den Saal. SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil sagt, man habe mit 800 Zuhörern gerechnet. Nun seien es doppelt soviele. Beim Publikum, das nicht nur sozialdemokratisch gefärbt ist, kommt Steinbrück an, erntet zwischendurch und nach 20 Minuten lauten Beifall, wenn auch nicht in allen Reihen durchgehend geklatscht wird. Steinbrück bereitet die Bühne für den Hauptmatador Weil, der nach ihm sprechen wird.

Politiker müssen sagen, was sie denken - sagt Steinbrück

Zwei Stunden vorher wurde Steinbrück noch vor Augen geführt, dass eine Äußerung zum Jahreswechsel es ihm derzeit wieder einmal schwer macht, mit politischen Aussagen Gehör zu finden. Steinbrück sieht sich nach seinen Äußerungen über das Gehalt des Bundeskanzlers zu Unrecht in der Kritik, kann den wiederholten Fragen von Journalisten bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach der Weihnachtspause aber nicht ausweichen. "Ich glaube, dass Politiker das aussprechen müssen, was sie denken", sagt er schließlich. "Die Menschen haben einen Anspruch darauf, dass Politiker nicht nach opportunen Gesichtspunkten sich äußern, sondern dass sie sagen, was sie denken. Ansonsten habe ich zu diesem Thema alles gesagt."

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Von Miguel Sanches und Gregor Boldt

Der Wahlkämpfer Weil gibt vor, dass er keinen Schaden für seine SPD durch die Kanzlergehaltsdebatte sieht. "Ich fühle mich von Peer Steinbrück unterstützt in meinem Wahlkampf", sagt Weil bei dem Firmenbesuch. In einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage zur Wahl habe die SPD nochmal dazugewonnen. "Danach perlt diese Debatte, die im Bund geführt wird, an uns Niedersachsen erkennbar vorbei", sagt Weil. "Finde ich gut."

Grummeln im SPD-Untergrund

Zur Selbstkritik sieht der Kanzlerkandidat keinen Einlass. In seiner Partei klingt das stellenweise anders. Das Interview zum Jahreswechsel sei "Mist" gewesen, hört man. Steinbrück habe nach der Debatte über sein Millionenhonorar wieder das Bild vom "Mann des Geldes" bedient, hieß es mancherorts, verbunden mit der Sorge, der Wahlkämpfer Steinbrück müsse "endlich Tritt fassen".

Steinbrück selbst geht darauf in der Nordseehalle nicht ein. Er wolle "gerne über Politik reden und nicht irgend etwas anderes", kündigt der Kanzlerkandidat an, bekommt dafür Beifall - und nimmt sich dann die niedersächsische Landespolitik vor. Er spricht frei und ohne Manuskript. Er gibt sich nicht kämpferisch, sondern sachlich. Kanzlerin Angela Merkel kommt kaum vor.

Steinbrück führt keine Attacken gegen die Kanzlerin, versucht kein Einpeitschen der Anhängerschaft. Er zählt Gründe auf, warum Niedersachsen besser fahre mit einer rot-grünen Landesregierung. Unter dem CDU-Ministerpräsidenten David McAllister sei Niedersachsen schlecht behandelt worden vom Bund, habe von den Ausgaben für Forschung und Infrastruktur weniger abbekommen als etwa Bayern und Baden-Württemberg. Das werde sich unter dem Ministerpräsidenten Weil ändern.

Origineller Wahlappell

Über die Landespolitik schlägt Steinbrück einen Bogen zu seinem eigenen Wahlkampf für die Bundestagswahl im September. "Und ich selber brauche, wenn wir erfolgreich sind im Herbst dieses Jahres", eine sozialdemokratisch geführte Landesregierung in Niedersachsen, die seiner Bundesregierung mit einer Mehrheit im Bundesrat helfe, für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen und einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen.

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Zum Schluss begibt sich Steinbrück in die Rolle des Motivators. Er wolle "Sie und euch motivieren", die Wahl in Niedersachsen sehr ernst zu nehmen. Manche SPD-Wähler seien "nach wie vor im Wartesaal", und er wisse, "dass manche von Ihnen manchmal Pickel haben" aus Ärger über die Politiker. Wer aber nicht wählen gehe, "wird anschließend von Leuten regiert, die dümmer sind als Sie". Er dankt dem Publikum für die Geduld, ihm zugehört zu haben, nachdem er festgestellt hat: "Ich würde es Ihnen nicht übelnehmen, wenn Sie die SPD nicht wählen - aber vergessen würde ich es Ihnen auch nicht."