Essen. Die spektakulären Bilder von der Razzia in der Deutschen Bank belegen: Wirtschaftsstrafsachen sind ein Wachstumsmarkt. Nicht nur bei der Bank, sondern auch bei EADS, der HSH Nordbank oder Unister sind die Fahnder aktiv. Doch können Sie mit den Bossen mithalten?

In der hessischen Vollzugsanstalt Weiterstadt saß schon Deutschlands bekanntester Bankräuber Thomas Wolf ein. Jetzt werden Leute von der anderen Seite des Tresens hinter den dicken Mauern Weihnachten feiern: Deutschbänker, denen die Justiz Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Irreführung der Ermittler vorwirft. 500 Polizisten in 20 Einsatzwagen haben sie letzten Mittwoch in einer spektakulären Aktion aus den Frankfurter Banktürmen geholt.

Staatsanwälte gegen Manager. Immer sind es dramatische Bilder, die TV-Kameras von Prozessen, Razzien und Festnahmen übermitteln: 2004 der Banker Josef Ackermann, der wegen Untreue vor dem Düsseldorfer Kadi steht. 2008 Postchef Klaus Zumwinkel, der unter Verdacht des Steuerbetrugs aus dem Privathaus geführt wird. Jetzt mit Maschinenpistolen bestückte Polizisten unterm Tannenbaum im Foyer der Deutschen Bank.

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Die Finanzkrise heizt den Boom an

Allein der Blick auf aktuelle Ermittlungsverfahren zeigt, dass das Vorgehen der Fahnder gegen die Bosse keine Ausnahme mehr ist. Im Visier stehen derzeit der Luft- und Raumfahrtkonzern EADS, die HSH Nordbank, das Leipziger Internetunternehmen Unister und der Baukonzern Bilfinger. Mittelständler wie der westfälische Armaturenhersteller Grohe (mehr als 50 Millionen Strafe wegen Kartellverstößen) und kleinere Unternehmer wie der Düsseldorfer Modezar und mutmaßliche Steuersünder Albert Eickhoff erhalten Besuch.

Die Palette der Vorwürfe, die zunehmend gegen Firmenmanagements erhoben werden, ist breit: Steuersachen und Betrug, Untreue, Bestechung, Preisabsprachen. Dabei drohen neue Prozesse in größerer Dimension: Sollte es eine Schuld der Baufirmen am Einsturz des Kölner Stadtarchivs geben, werden Manager wohl gar wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.

Deutlich mehr Straftaten

Das alles ist die Reaktion der Strafverfolger auf die Lage: Wirtschaftskriminalität ist ein Wachstumsmarkt – weltweit und seit der Finanzkrise „vervielfacht“, sagen Anwälte. In Deutschland erreichte der Boom mit zuletzt 102 813 Straftaten und 37 278 Verdächtigen einen Gipfel, berichtet das Bundeskriminalamt. 2008 waren erst 84 550 Fälle aufgeflogen. Schaden 2010: 4,6 Milliarden Euro.

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Dabei gilt der acht Jahre alte Satz von Josef Ackermann, Deutschland sei „das einzige Land, das Leute vor Gericht stellt, die Werte schaffen“, längst nicht mehr. Im Mutterland des Kapitalismus verhängte die „Financial Unit“ des FBI letztes Jahr 1,3 Milliarden Dollar Strafzahlungen und zwang die verdächtigen Unternehmen zu insgesamt 15,2 Milliarden Dollar Schadenersatz. Schweizer Bankmanager, der Beihilfe zur Steuerhinterziehung für schuldig gehalten, trauen sich nicht, in die USA einzureisen. Ihnen droht dort Haft.

Ermittler sind überlastet

Gehen die Strafverfolgungsbehörden tatsächlich massiver gegen Wirtschaftsbosse vor? Oder täuschen die TV-Bilder? Reiner Lindemann ist Chef des nordrhein-westfälischen Bundes der Richter und Staatsanwälte. Das sei schwer zu beantworten, sagt er. Aber er bezweifelt die Waffengleichheit in der Auseinandersetzung „mit Managern, die plötzlich realisieren, dass sie in der Haftanstalt landen könnten“. 200 Staatsanwälte fehlten alleine in NRW, sagt Lindemann – und „Umfangsverfahren“, wie es Wirtschaftsprozesse sind, blockierten längst die Kapazitäten der Gerichte.

Wie in Bielefeld. Der frühere „Arminia“-Aufsichtsrat Peter Walpurgis, der Millionengewinne seiner Sicherheitsfirma beiseitegebracht haben soll, kann wegen „Überlastung“ der Wirtschaftskammer nicht abgeurteilt werden. Ein Prozess findet in Österreich statt, wo er auch Steuern schuldet. Die NRW-Kasse geht leer aus.