Essen. . Die Industrie ist in der Krise: Thyssen-Krupp muss Milliarden-Verluste verkraften, das Opel-Werk in Bochum steht vor dem Aus. Was gut läuft im Ruhrgebiet beleuchtet unsere Serie. Heute: Die Hochschulen. Sie befördern den Wandel, doch benötigen sie auch in Zukunft die Industrie als Partner.

Was toll ist im Ruhrgebiet? „Na, es ist schön grün hier, hätte ich nicht gedacht“, sagt ein junger Besucher aus dem Süden Deutschlands. „Und die vielen Unis“, so viele auf einem Fleck! Beinahe in jeder Stadt eine, dazu die zahlreichen Fachhochschulen.

Dass der Student so staunt, ist verständlich, studiert er doch in Bayreuth, einer kleinen Stadt mit einer kleinen Uni, knapp 12 000 Studierende hat sie. Hier sind es fast zehnmal so viele. Was Bayreuth aber hat und das Ruhrgebiet zu wenig: Sichtbarer Stolz auf seine Hochschulen. Man flaggt sich lieber aus als Einkaufs- denn als Universitätsstadt. Kein Wunder, dass sich der Besucher wundert: „Wo sind all die Studenten? Man sieht sie nicht.“

Dennoch, das Ruhrgebiet ist die dichteste Hochschullandschaft Europas. Das war der Region nicht an der Wiege gesungen worden. Mit der Ruhr-Universität Bochum ging es 1965 los. Es war die erste größere Hochschulansiedlung auf dem Gebiet Nordrhein-Westfalens seit 1870 – und der Startschuss für einen tiefgreifenden Wandel.

Hochschulen wie Tulpen gepflanzt

In den späten 60er- und 70er-Jahren pflanzte die Politik Hochschulen in die Landschaft wie Tulpenzwiebeln: in Dortmund, in Duisburg und Essen, in Hagen, Siegen und Bielefeld, dazu Fachhochschulen querbeet. Man säte in das von Kohle und Stahl verödete Land und hoffte auf blühende Ernte.

Die stellte sich ein. Mehr als 200 000 junge Menschen studieren heute an Rhein und Ruhr. Es gibt – mit der privaten Uni in Witten – fünf Universitäten in der Region, 15 Fachhochschulen, knapp 50 Forschungsinstitute, zudem Spitzeneinrichtungen der Max-Planck- und der Fraunhofergesellschaft sowie der Leibniz-Gemeinschaft. Die Ruhr-Uni Bochum schaffte es in diesem Jahr bis in die Endrunde des bundesweiten „Elitewettbewerbs“ (Exzellenz-Initiative).

Milliarden für die Städte

Allein die drei in einer Allianz verbundenen Unis Duisburg-Essen, Bochum und Dortmund verfügen zusammen über einen Haushaltsvolumen von rund 1,2 Milliarden Euro. Sie haben gut 100 000 Studierende, 1200 Professoren und 15 000 wissenschaftliche Mitarbeiter. Das spült neben Geist auch jede Menge Geld in die Städte. Ulrich Radtke, Rektor der Uni Duisburg-Essen, macht flott folgende Rechnung auf:

Die Uni hat rund 40 000 Studenten, die benötigen pro Monat etwa 900 Euro zum Leben. Macht pro Monat 36 Millionen Euro, im Jahr gut 430 Millionen. Dazu kommen die Professoren, die Mitarbeiter, das Klinikum. Radtke: „Die Uni pumpt pro Jahr deutlich mehr als eine Milliarde in die Region.“ Ähnlich ließe sich auch andernorts rechnen – wenn man die Bedeutung der Hochschulen nur monetär fassen wollte.

Forschen für die Zukunft

Doch es geht ja um mehr: Die Hochschulen ziehen junge Menschen ins Revier – wichtig vor dem Hintergrund einer alternden Bevölkerung. In ihren talentierten Köpfen entsteht die Zukunft des Ruhrgebiets, sie sind die Fachkräfte und die Unternehmensgründer von Morgen. Die Zukunft wird konkret in den Laboren und Werkstätten der Forscher ausgeheckt, ob in der Medizin-, Nano- oder Werkstofftechnik, in der Logistik, der Hirnforschung, der Lehrerbildung oder in den Gesellschaftswissenschaften.

„Für den Wandel der Region sind die Hochschulen von herausragender Bedeutung“, sagt Elmar Weiler, Rektor der Ruhr-Uni Bochum. Auch er war betroffen vom dann doch plötzlichen Aus für das Bochumer Opel-Werk, denn die Hochschulen brauchen Industrie und diese die Hochschulen. Er bedauert, dass die Werksleitung nie den Kontakt zu den Forschern der benachbarten Uni gesucht habe, um „gemeinsam an einer besseren Zukunft für das Opelwerk zu arbeiten“.

Hochschulen brauchen Industrie

Weiler: „Was wir brauchen – und was es zum Teil ja bereits gibt – sind Arbeitgeber mit hochtechnologischen Erfordernissen.“ Denn es sei wichtig, den qualifizierten Nachwuchs an die Region zu binden, „vor allem durch ein entsprechendes Angebot an Arbeitsplätzen“.

Die Hochschulen werden weiter wachsen, sind sich die Uni-Rektoren sicher – sofern die Finanzierung stimmt – und sie werden weiter zusammenwachsen, kooperieren und für internationale Anziehungskraft der gesamten Region sorgen. Die Zahl der Studienbeginner werde auch im kommenden Jahrzehnt auf hohem Niveau verharren. Radtke ist optimistisch: „Die Zukunft? Wir werden auch in 30 Jahren noch hier sein.“ Bei manchen Industriebetrieben ist er da nicht so sicher.