Dortmund. . Etliche Leitungen für Öl, Gas und Chemikalien in Nordrhein-Westfalen sind überaltert und erfüllen nicht mehr die aktuellen Sichehrheitsstandards. Rost zersetzt alte Leitungen, erste Lecks gibt es auch bereit. Modernisierung gefordert

Ein erheblicher Teil der Öl-, Gas- und Chemikalienpipelines für die Industrie in Nordrhein-Westfalen ist überaltert und erfüllt nicht die aktuellen technischen Sicherheitsstandards. Das nordrhein-westfälische Umweltministerium fordert deshalb, die Anlagen entsprechend aufrüsten zu lassen. Weil zudem die Lage und der Zustand vieler Leitungen überhaupt nicht bekannt ist, soll ein neues Kataster erstellt werden. Hintergrund sind die bekannt gewordenen Lecks in einer Kerosin-Pipeline bei Köln und einer Kokereigas-Fernleitung bei Dortmund.

54 sogenannte Altanlagen gibt es an Rhein und Ruhr, die nach einer Übersicht des Umweltministeriums vollständig oder teilweise unterirdisch verlaufen und nur als einwandige Rohrleitungen gebaut wurden. Das Risiko, dass diese leck schlagen, ist hoch. Gefährliche Roststellen werden mit bisherigen Prüfverfahren nicht unbedingt erkannt. Das zumindest geht aus dem Prüfbericht für die Pipeline von Eon Ruhrgas hervor, bei der es im August zum Gasaustritt kam. Die in manchen Abschnitten bis zu 100 Jahre alte Leitung transportiert hochentzündliches und giftiges Kokereigas von der Kokerei Prosper in Bottrop zum Thyssen-Krupp-Stahlwerk in Dortmund.

Mehrere Leckagen an Rohren in Dortmund

Nahe Dortmund waren im August bei Arbeiten mehrere Leckagen festgestellt worden. Muffen waren undicht und an einer Stelle war das Rohr durchgerostet. Zwei Stunden lang strömten größere Mengen Gas aus, möglicherweise war aus den kleineren Lecks zuvor auch Gas ausgetreten. Doch bei einer Überprüfung im Jahr 2010 waren diese Schwachstellen nicht erkannt worden, heißt es in dem Prüfbericht, der der WR vorliegt. Grund dafür könnte sein, dass Kalkablagerungen rund um das in diesem Abschnitt etwa 60 Zentimeter dicke Stahlrohr Korrosionsprüfungen behinderten. Der TÜV bezweifelt, dass die bisherige Bewertungsmethode ausreichend ist.

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Von Heinz Krischer

Die Prüfung der Altanlagen wird erst seit 2010 systematisch durch externe Gutachter vorgenommen – der Bezirksregierung Arnsberg beispielsweise fehlen aber noch die meisten Prüfberichte für die auf ihrem Gebiet verlaufenden Pipelines. Sie seien angefordert, lägen aber noch nicht komplett vor, hieß es gestern.

Welche Gefahr droht durch alte Leitungen?

Die Wissenslücken sind enorm: Niemand weiß heute genau zu sagen, wie sicher oder wie dicht die Pipelines sind, die zuhauf in der Erde verlegt wurden. Klar ist nur: Ein erheblicher Teil ist ziemlich alt. Und Lecks darin werden oft nur aus Zufall gefunden. So wie bei der undichten Leitung in Köln, wie beim Leck in Dortmund und wie bei einer tröpfelnden Leitung nahe Gelsenkirchen.

Was ist in Köln passiert?

Dort flossen aus einem etwa einen Zentimeter langen Riss in der Pipeline etwa eine Million Liter Kerosin auf einem Areal von 120 Quadratmetern ins Erdreich und damit auch ins Grundwasser. Die rund 800 Meter lange, zehn Zentimeter breite und in zwei bis vier Metern Tiefe verlegte Pipeline ist etwa 70 Jahre alt. Nach Medienberichten bekam Shell als Betreiber der Pipeline wochenlang nichts mit. Grund sei ein altertümliches Alarmsystem, das erst bei einem Verlust von mehr als 5000 Litern pro Stunde anschlägt – das sei knapp unterschritten worden.

Wie wurde das Leck in der Dortmunder Pipeline entdeckt?

Durch Zufall. Weil bekannt ist, dass die Rohrverbindungen der uralten Leitung marode sind, lässt Eon Ruhrgas diese nach und nach mit einer Ummantelung versehen. Als Arbeiter im Dortmunder Stadtteil Schwieringhausen die unterirdische Leitung freilegten, stellten sie an einer ersten Muffenverbindung Gasaustritt fest, dann an einer 50 Meter entfernten ebenfalls und auch ein Stück Rohr war durchgerostet, so dass auch dort Gas ausströmte.

War das ein Einzelfall?

Offenbar nicht. Aus den unserer Zeitung vorliegenden Papieren geht hervor, dass es auch schon in der Vergangenheit „wiederholt zu Undichtigkeiten“ gekommen ist. Doch diese wurden offenbar nicht bekannt gemacht. Die Arnsberger Bezirksregierung als Aufsichtsbehörde beteuert jedenfalls, ihr lägen außer dem aktuellen Fall keine weiteren Schadensmeldungen vor.

Wie beurteilt der TÜV die Kokereigas-Fernleitung?

Es drängt sich der Eindruck auf, dass die im Abschnitt des Schadens über 80 Jahre alte Leitung sehr marode ist: Rost von außen, Korrosionsdurchbrüche innen, rissige und spröde Umhüllungen der Stahlrohre, Wasserunterwanderung der Schutzschicht, nur noch Reste von „Fettbinden“, die als Schweißnahtumhüllung dienten. Eine komplette Prüfung der Leitungen wurde zudem nicht vorgenommen.

Wie sieht das der Betreiber?

Eon findet die Pipeline ganz in Ordnung. „Aktuell gibt es keinen Sanierungsbedarf“, teilte gestern ein Sprecher mit. „Die Leitungen sind geprüft und Integrität ist festgestellt.“

Was empfehlen die Prüfer?

Trotz der beschriebenen Mängel bescheinigt der TÜV in der Tat dem Auftraggeber Eon, dass die Rohrfernleitung „in ordnungsgemäßem Zustand“ ist und „ordnungsgemäß überwacht wurde.“ Allerdings regen die Gutachter an, die „Bewertungsmethodik“ zu überprüfen. So sei auch zu prüfen, ob die Kokereigasfernleitung nicht „gemolcht“ werden kann. Dabei wird ein Inspektionsgerät durch das Rohr geschickt, das Lecks aufspüren kann.

Geht aktuell Gefahr von der Pipeline aus?

Die TÜV-Prüfer haben keine sicherheitstechnischen Bedenken, wenn die Leitung weiter betrieben wird. Aber: Sie rechnen damit, dass die Korrosion fortschreitet, dass es „Schleichleckagen“ geben wird. „Bei frühzeitiger Erkennung“ würden diese aber nicht zu einer unmittelbaren Gefährdung für die Umgebung führen. Der TÜV empfiehlt daher, statt alle drei Monate in verkürzten Intervallen (alle sechs Wochen) die Pipeline-Trasse mit Gasspürgeräten abzugehen.

Auch in Gelsenkirchen gab es eine undichte Pipeline. Was trat dort aus?

Das Leck wurde 2010 von Anwohnern bemerkt – ebenfalls ein Zufallsfund. Sie bemerkten in ihren Kellern Heizölgeruch. Bei der Suche nach der Ursache fand man eine undichte Pipeline von BP, Baujahr 1954. Aus dieser waren zum Glück nur 200 Liter Rohöl ausgeflossen, bis man sie flicken konnte.

Gehen von undichten Pipelines Gesundheitsgefahren aus?

Möglicherweise dann, wenn die wassergefährdenden Stoffe über das Grund- ins Trinkwasser gelangen. Das ist bisher offenbar noch nicht der Fall gewesen – in Köln besteht aber die Sorge. Das ausströmende Gas kann für diejenigen, die es ungeschützt einatmen, giftig sein. Meist wird es aber mit dem Wind sehr schnell verdünnt – so auch in Dortmund, betont Eon.

Welche Konsequenzen zieht die Politik?

Das NRW-Umweltministerium drängt auf eine gesetzliche Nachrüstpflicht, die aber möglicherweise auf Bundesebene umgesetzt werden muss. Alte Pipelines sollen doppelwandig ausgestattet und mit einem Dichtigkeits-Frühwarnsystem ausgestattet werden.