Düsseldorf. . Nicht mal ein Jahr arbeitet die bundesweit erste Moderationsstelle für mehr Bürgerakzeptanz in NRW. Schon jetzt ist sie gefragter als gedacht: Unternehmen und Kommunen haben rund 20 Großprojekte gemeldet, die den Bürgerzorn wecken könnten. Die Profi-Vermittler sollen eskalierende Konflikte wie die Straßenschlachten in Stuttgart vermeiden.

Aus Angst vor Bürger­protesten und langwierigen Rechtsstreitigkeiten schalten immer mehr Unternehmen und Kommunen in NRW bei der Planung von Industrie- oder Infrastrukturprojekten Vermittlungsprofis des Landes ein.

Seit Jahresbeginn seien bei der bundesweit ersten Moderationsstelle für mehr Bürgerakzeptanz bereits 20 Baumaßnahmen angemeldet worden, bestätigte ein Sprecher des NRW-Wirtschaftsministeriums.

„Die Dialog- und Beteiligungskultur am Standort ist zu einem harten Faktor unternehmerischen Handels geworden“, sagte Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) unserer Zeitung. Transparente Information und das Ringen aller Beteiligten um die beste Lösung entschieden künftig darüber, „ob und in welcher Variante ein Zukunftsinvestition gelingt“, so Duin.

Lernen aus „Stuttgart 21“

Die NRW-Landesregierung hatte zu Jahresbeginn als Lehre aus den gewaltsamen Protesten gegen das umstrittene Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ die Geschäftsstelle „Dialog schafft Zukunft“ ins Leben gerufen. Umgangssprachlich wurde sie anfangs „Wutbürger-Büro“ genannt.

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Experten für Beteiligungsprozesse, die schon bei Großkonflikten wie jenen um den Frankfurter Flughafenausbau im Einsatz waren, sollen seither als unabhängige Agentur auftreten, um Konfrontationen beim Bau von Stromtrassen, Kraftwerken oder Verkehrswegen in NRW zu verhindern.

Professionelle Moderation

Das Angebot umfasst Informationspolitik, Rechtsberatung und Schulung. Das Land lässt sich die Geschäftsstelle in den kommenden drei Jahren 1,5 Millionen Euro kosten. Wirtschaftsminister Duin will in dieser Woche ein 200-seitiges Handbuch vorstellen, das als Gebrauchsanweisung für einen Interessenausgleich vor Ort gedacht ist. Duin: „Ein zukunftsweisender Wirtschaftsstandort braucht eine Industrie, die von der Gesellschaft getragen wird.“

Der gerichtlich gestoppte Weiterbau des Steinkohlekraftwerks Datteln, der Streit um die CO-Pipeline am Niederrhein oder der Städtekonflikt zwischen Bottrop und Gladbeck um den Ausbau der Autobahn 52 im nördlichen Ruhrgebiet gelten innerhalb der Landesregierung als Paradebeispiele für die Notwendigkeit einer neuer Akzeptanzoffensive. Bürgern und engagierten Gruppen sei häufig unklar, welchen Einfluss sie auf die Gestaltung von Großprojekten nehmen können, ohne Totalverweigerung zu betreiben, heißt es im Wirtschaftsministerium.

Erste konkrete Aufgabe: Standortsuche für den Windpark

„Die klassische Bürgerversammlung allein reicht heute nicht mehr aus“, sagt Uwe Wäckers, Kommunikationschef des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI) in NRW. Durch die sozialen Netzwerke im Internet sei es leichter geworden, schnell Widerstand gegen etwas zu organisieren.

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Die Chemische Industrie verfüge zwar über jahrelange Erfahrung, wie man Bürger informieren und für Projekte sensibilisieren müsse. Die neue Moderationsstelle des Landes biete jedoch allen Seiten noch einmal einen größeren „Methodenkoffer“ für Austausch und Ausgleich. Man dürfe den Dialog nicht erst beginnen, wenn der Konflikt schon da sei, so Wäckers.

Das NRW-Wirtschaftsministerium geht davon aus, dass professionelle Moderation „bei Industrieansiedlungen, dem Netzausbau sowie bei kommunalen Energieprojekten“ eine zunehmend große Rolle spielen werde. So erarbeitet eine Stadt, die bislang nicht genannt werden will, mit der Geschäftsstelle „Dialog schafft Zukunft“ gerade ein Konzept zur Bürgerbeteiligung bei der Standortsuche für einen Windpark.