Essen. Wie seriös kann eine Sendung sein, die Politikern 100 000 Euro für die beliebteste Meinung verspricht? Das war die Grundfrage bei Stefan Raabs neuer Talkshow „Absolute Mehrheit“. Die Antwort: gar nicht.
Norbert Lammert war nicht amüsiert. „Wer Geld für Meinungen aussetzt, bestellt Meinungen für Geld“, zürnte der Bundestagspräsident vor ein paar Tagen. Ziel der Kritik waren Stefan Raab und sein neuer Polit-Talk „Absolute Mehrheit“. Die Sendung verspricht demjenigen Kandidaten 100 000 Euro, dessen Position bei den Zuschauern am besten ankommt. Abgestimmt wird per Telefon. Einziges Hindernis für die Politiker: die Zustimmung muss über 50 Prozent liegen, sonst bleibt das Geld im Jackpot.
Eine Alternative zu „Jauchmaischbergerillnerwillplasberg“ wolle er bieten, kündigte Raab vollmundig an – weg von den Politikerplatitüden und den bestellten Claqueren im Studio. Eine Riesenidee. Was könnte Gemeinplätze und Populismus besser verhindern als 100 000 Euro für die beliebteste Meinung, eingeholt im Stile von Facebook? Energiewende, bedingungsloses Grundeinkommen, Abschaffung des Dosenpfands – 237 544 Menschen gefällt das.
Wie seriös das Team hinter „Absolute Mehrheit“ arbeitet, konnte man im Vorfeld beobachten. Da wurde der Grünen-Abgeordnete Volker Beck erst ein- und dann wieder ausgeladen. Begründung: Bundesumweltminister Peter Altmaier habe auf den Rauswurf bestanden. Eine klare Falschmeldung, für die Altmaier seine eigene Zusage zurücknahm. Mit dem Umweltminister verschwand denn auch der letzte Gast aus der A-Liga vom Talk-Sofa. Hannelore Kraft und Andrea Nahles hatten von vorneherein abgewunken.
Stefan Raab blieb nur die zweite Garde
Und so blieb Raab bei der gestrigen Premiere nur die zweite Garde: CDU-Wirtschaftsexperte Michael Fuchs, FDP-Mann Wolfgang Kubicki, Thomas Oppermann von der SPD, Jan van Aken von der Linken und, als „Frau aus dem Volk“, die Unternehmerin Verena Delius. Zusammen meisterten sie eine schwierige Aufgabe: zwischen Sponsorenmeldungen („Ich höre gerade von der Regie, wir müssen noch mal den Wagen zeigen“), peinlichen Cartoon-Einspielern und Raabschen „Auflockerungsfragen“ („Herr Fuchs, habe sie Gans gestohlen?“) irgendwie Würde zu bewahren. Dass keiner der fünf Kandidaten allzu offensichtlich auf die 100 000 Euro schielte, war die beste Nachricht des Abends.
Bei den Themen herrschte weitgehend Konsens. Atomkraft: nein danke. Bildung: wichtig. Steuern für Reiche: rauf. Banken: stärker kontrollieren. Vor dem Hintergrund wirkte der „Sieg“ von Wolfgang Kubicki einigermaßen willkürlich – wenn auch konsequent. Der FDP-Mann lag schon beim ersten TED nach fünf Minuten vorne. Von Politik war zu dem Zeitpunkt noch gar nicht die Rede. „Haben Sie schon mal einen Kandidaten wegen der guten Frisur gewählt?“, fragte Raab seinen Co-Moderator Peter Limbourg. Wahrscheinlich war es gar kein Witz.