Washington.. Eine einst große Partei in Amerika begibt sich in Geiselhaft von Radikalen. Ein Kommentar von Dirk Hautkapp
Wenn in Deutschland Parteien den Korridor ihrer erstrittenen Gemeinsamkeiten verlassen und den Extremen auf den Flügeln schöne Augen machen, setzen Korrektive ein. Zum Beispiel graue Autoritäten. Die FDP hat Genscher, die CDU Altkanzler Kohl und die Sozialdemokratie darf sich des Mahners Helmut Schmidt gewiss sein. Amerikas Republikaner haben niemanden.
Was das bedeutet, ist im Ringen der Konservativen um den besten Kandidaten gegen Barack Obama zu besichtigen. Im hässlichen Vorwahlkampf, in dem christliche Werte missbräuchlich als Waffen eingesetzt werden, verkommt die ehrwürdige „Grand Old Party“ zur Karikatur. Die Kollateralschäden können beträchtlich sein. Die Republikaner, die den Staat seit Lincolns Zeiten mitgeformt haben, erscheinen dem Wahlvolk heute wie extremistische Umstürzler.
Mitt Romney, der ebenso ungemochte wie aussichtsreichste Kandidat, kann Country-Klub-Kapitalismus. Mehr nicht. Als ehemaliger Manager macht er täglich die politischen Instanzen verächtlich – wissend, dass er ohne die Gefolgschaft von Kongress und Senat und ohne den Sachverstand des Regierungsapparats nicht mehr sein würde als der Frühstücksdirektor im Weißen Haus. Rick Santorum, nach den Ergebnissen am „Super Tuesday“ sein Haupt-Widersacher, biedert sich bei den Ultra-Religiösen auf infame Weise als Kreuzzügler gegen alles an, was liberal klingt. Liberal = gottlos = sozialistisch. Die Gefallsucht gegenüber einer radikalisierten und überschaubar intellektuellen Stammwählerschaft, die sich in der Tea-Party-Bewegung sammelt und für die politische Klasse in Washington nur kenntnisfreie Abscheu empfindet, ist beängstigend.
Taugliche Lösungsvorschläge für die an allen Ecken und Enden knirschende Super-Macht? Fehlanzeige. Stattdessen Hetze und Wolkenkuckucksheime. Man muss an der Politikfähigkeit der Republikaner zweifeln, die Präsident Obama noch immer als Betriebsunfall der Geschichte verunglimpfen.
Die Wahl am 6. November wird von moderaten, unabhängigen Wählern entschieden, von Frauen und von der rasant wachsenden Latino-Bevölkerung. Von Menschen, die den ideologisch verklumpten Kulturkämpfern mit Misstrauen begegnen, weil die unverfrorenen Schein-Debatten von Romney, Santorum, Gingrich und Paul mit ihrem Alltag nichts gemein haben. Diese Wähler bekommen den selbst verschuldeten Abstieg der Supermacht USA wirtschaftlich hautnah zu spüren; ob an der Tankstelle, auf der Bank oder bei der Ausgabe von Essensmarken. Sie haben miterlebt, wie die Einkommen der Armen sanken und die Mittelschicht auf der Stelle trat, während sich die Vermögen der Super-Reichen obszön aufblähten. Und allmählich setzt sich bei ihnen die Überzeugung fest, dass es die Republikaner waren, die über drei Jahrzehnte die gigantische Umverteilung von unten nach oben betrieben haben und jetzt „Haltet den Dieb!“ rufen. Das treibt sie nicht zwangsläufig alle in die Arme der Demokraten. Aber viele in die politische Apathie. Die Gründerväter, die von den republikanischen Möchtegern-Präsidenten jeden Tag in Anspruch genommen werden, sie würden sich im Grab umdrehen.