Washington. Barack Obama reichte den Republikanern schon in der Stunde seines Sieges die Hand. Doch der geschlagene Gegner erwartet mehr als Gesten: echtes Entgegenkommen. Für Obama werden die nächsten vier Jahre ein echter Test seiner Führungs- und Vermittlungsfähigkeit.
Das erschreckend Matte, das routiniert Abgespulte aus den vergangenen Wochen, es war schon nach den ersten Sätzen, die Barack Obama im McCormick-Kongresscenter von Chicago in der Nacht zum Mittwoch sprach, wie weggeblasen. Energisch, eindringlich und frisch wie seit langem nicht legte der neue, alte Präsident in der Stunde seines am Ende doch klaren Triumphes die Hebel um.
Schluss mit hasserfüllter Konfrontation. Raus mit der zum Friedenspakt herausgestreckten Hand. Her mit der „Mission Versöhnung“ mit den unterlegenen Republikanern.
„Wir sind nicht so geteilt, wie es die Politik vermuten lässt“, rief er unter dem Jubel der 15 000 im Saal, „und wir bleiben mehr als nur eine Ansammlung aus roten Staaten und blauen Staaten.“
Wirklich? „Egal, woran Du glaubst, wo Du herkommst, ob Du weiß oder schwarz bist, Latino oder Indianer, schwul oder hetero: Du kannst es hier schaffen.“ Solche Sätze sagen sich leicht in Momenten, in denen Amerika traditionell nach Pathos und Heilsalbe verlangt.
Der teuerste Wahlkampf aller Zeiten
Obamas Geste, den Krieg der Worte zu beenden und endlich aus den tiefen Gräben zu steigen, in denen es sich Demokraten wie Republikaner im teuersten Wahlkampf aller Zeiten (sechs Milliarden Dollar...) bequem gemacht hatten, „muss den Realitäts-Test aber erst noch überstehen“, sagen Beobachter in der Denkfabrik „Brookings“. Das Parlament, bestehend aus dem weiter demokratisch beherrschten Senat und dem wie zuvor republikanisch dominierten Repräsentantenhaus, habe „unverändert zerstörerisches Blockade-Potenzial“.
Obama reichte beiden Lagern gestern unübersehbar die Hand. Ob aber die zum zweiten Mal hintereinander am Weißen Haus gescheiterten Republikaner einschlagen werden, erscheint heute ungewiss bis zweifelhaft.
Einen ersten Vorgeschmack auf die von wichtigen Entscheidungen wie der notwendigen Umschiffung des „Haushalts-Kliffs“ geprägten kommenden Wochen gab gestern der republikanische Wortführer des Repräsentantenhauses, John Boehner. Seine Ankündigung, die „Grand Old Party“ (GOP) werde unverdrossen Widerstand gegen Vorstöße für Steuererhöhungen für Reiche leisten (zentrales Thema von Obama im Wahlkampf), war nur als Drohung zu verstehen - und wie das Magazin „Politico“ anmerkte „auch genau so gemeint“.
Hoffen auf bessere Einsicht
In demokratischen Kreisen wird auf die Einsichtsfähigkeit und Überzeugungskraft moderater Zirkel in der GOP gesetzt. „Eine Mehrheit der Wähler hat Obama eine zweite Amtszeit gewährt. Wer sich dem verweigert, stellt sich dem Willen des Volkes entgegen“, sagte ein Ortsvorsitzender der Demokraten in Washington.
Der Gewinner versuchte es mit staatsmännischen Komplimenten. Obama im O-Ton: „Ich habe gerade mit Gouverneur Romney gesprochen und ihm und Paul Ryan zu einer hart umkämpften Kampagne gratuliert. Wir mögen heftig gekämpft haben, aber nur deshalb, weil wir dieses Land so sehr lieben und uns so sehr um seine Zukunft sorgen. Ich freue mich darauf, mich in den kommenden Wochen mit Gouverneur Romney zusammenzusetzen und darüber zu sprechen, wie wir zusammenarbeiten können, um dieses Land voranzubringen.“
Warum, fragte ein Kommentator der rechtskonservativ gewirkten „Washington Times“, soll „plötzlich gelingen, was so lange Zeit unterblieben ist“. Noch im Wahlkampf beschwerten sich Romney und Ryan mit einiger Berechtigung darüber, dass Obama seit Monaten die republikanische Führung trotz drängender Problem „wie Luft“ behandelt habe. Die Gegenseite erwartet also mehr als verbale Handreichungen und blickt mit Spannung darauf, ob Obama nun „das Verhandlungsgeschick und die ehrliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit an den Tag legen wird, die er in den vergangenen vier Jahren vermissen ließ“.
Der politische Sturm kommt erst noch
Was kann, was will Obama den anderen anbieten? Die Antwort darauf steht noch aus. Vorläufig ließ der Präsident nur anklingen, dass an den „Stränden von New York und New Jersey“ jüngst das politische Klein-Klein aufgehoben worden sei, als er gemeinsam mit dem republikanischen Gouverneur von New Jersey, Chris Christie, überparteiliche Geschlossenheit bei der Bewältigung von „Sandy“ gezeigt hat.
Der Hurrikan aber war gestern. In Washington halten in beiden Parteien viele den „politischen Sturm“, auf den sich Amerika schon in den Wochen bis zur Amtseinführung Obamas Ende Januar einstellen müsse, „für viel gefährlicher“.