Nogales/Phoenix.. Dulce Matuz kämpft dafür, dass Kinder mexikanischer Einwanderer als US-Staatsbürger anerkannt werden. Der Weg dorthin ist noch ein weiter. Doch das Time-Magazin zählt sie bereits zu den 100 wichtigsten Personen der Welt.

Sie hat sich nie was zu Schulden kommen lassen. Sie hat sich durchs College gekämpft. Sie hat ihrer Mutter beim Abwasch geholfen. Sie ist sonntags in die Kirche gegangen. Sie hat mit Stipendien, einem halben Dutzend Nebenjobs und Zähigkeit einen Top-Abschluss an der renommiertesten Universität des Bundesstaates gemacht. Sie hat alles getan, was der Volksmund über den amerikanischen Traum sagt: Befolge die Regeln, arbeitet hart – und Du wirst es zu etwas bringen. Der Volksmund irrt oft im Land der begrenzten Möglichkeiten.

Wer sich früher mit Dulce Matuz verabreden wollte, musste  damit rechnen, dass die 27-Jährige nicht erscheinen würde. Nur ein einziger schlecht aufgelegter Deputy des in ganz Amerika berüchtigten Sheriffs von Maricopa County, Joe Arpaio, der im größten Bezirk Arizonas um die Millionen-Metropole Phoenix den Hut aufhat, bei einer Verkehrskontrolle hätte gereicht – und Dulce Matuz wäre im schlimmsten Fall abgeschoben worden. Zurück nach Mexiko. Weil sie keinen Führerschein hat.

Für die Menschen ohne Papiere sind es die verriegelten Staaten

Nicht haben darf. Dulce Matuz war eine von 450.000 „Undokumentierten“ im Wüsten-Bundesstaat im Süden der USA. Eine von rund zwölf Millionen ohne Papiere insgesamt, für die Amerika die verriegelten, nicht die Vereinigten Staaten sind. Dulce Matuz war unbekannt. Bis das berühmte „Time“-Magazin sie im April zu einer Gala nach New York einlud. Und danach aufs Titelbild. Die Hollywood-Sternchen Eva Longoria hielt die Laudatio und nannte sie „vorbildlich“. Dulce Matuz gehört zu den „100 wichtigsten Persönlichkeiten der Welt“. Auf einer Stufe mit Putin und Bill Gates. Von Abschiebung ist keine Rede mehr. Dulce Matuz ist ein Star. Oder?

Der „Star“ kommt an diesem brütend heißen Morgen abgehetzt ins improvisierte Büro der „Arizona Dream Act Coalition“ am Rande der Innenstadt von Phoenix. Draußen sind es morgens um neun bereits 35 Grad. Die ersten Aktivisten sind schon bei der Arbeit. Plakate werden gemalt, die Telefone klingeln pausenlos. „Wir könnten hier rund um die Uhr Dauerberatung machen“, sagt Matuz und gibt ein paar herzliche Anweisungen auf Spanisch. Sie hat den Verein gegründet, der eine Bürgerwehr gegen die Behördenwillkür gegenüber unverschuldet illegalen Einwanderer-Kindern ist. Das „Time“-Magazin schrieb die Geschichte auf.

Romney fordert „Selbst-Deportation“

Am Anfang, sagt sie, „war Obama“. Mit dem „Dream Act“ wollte der Präsident jenen 1,7 Millionen Latinos, die als Kinder mit ihren Eltern oder Verwandten illegal über die Grenze gekommen sind, nachträglich den Weg zur Einbürgerung ebnen. Das Projekt scheiterte am Widerstand der Republikaner. Deren Spitzenkandidat für die Präsidentschaftswahl, Mitt Romney, forderte die Illegalen  dazu auf, sich durch „Selbst-Deportation“ drohender Strafverfolgung zu entziehen. Recht und Ordnung müsse sein. Romneys Vater kam aus Mexiko. Für Dulce Matuz war das der letzte Schubser. „Ich wollte nicht länger  hinnehmen, dass mein Status als Illegale mein Leben bestimmt. Und das vieler Tausend anderer.“

Dulce Matuz ha einen Traum: Die Anerkennung der Kinder mexikanischer Einwanderer als US-Staatsbürger.
Dulce Matuz ha einen Traum: Die Anerkennung der Kinder mexikanischer Einwanderer als US-Staatsbürger. © Dirk Hautkapp | Dirk Hautkapp

Rückblick: Matuz kommt mit 15 aus Hermosillo, sieben Stunden Autofahrt von Phoenix entfernt, in die USA. Ihre Mutter holt sie mit einem Visum. Lange abgelaufen. Matuz spricht kaum Englisch, als sie an der Carl Hayden High School in den Unterricht geschubst wird. Keiner fragt nach ihren Papieren. Schul-Autonomie. Ein Lehrer, Fredi Lajvardi, begeistert das Mädchen für Roboter. Matuz wird zur Expertin, schafft mit Spitzennoten den Abschluss. Und stößt zum ersten Mal an die gläserne Decke. Illegalen ist der Zugang zu staatlichen Hochschulstipendien verwehrt. Ohne die oder reiche Eltern bleibt der Bildungsweg verschlossen.

Keine Arbeitserlaubnis, kein Führerschein

Durch zähes Klinkenputzen schafft sie es doch mit dem Stipendium. An der „Arizona State University“ legt sie ein Ingenieurstudium hin und engagiert sich für Kommilitonen, die „auch auf der Schattenseite leben“. Schätzungsweise 80.000 allein in Arizona. Wieder stößt sie an die Decke. Illegale kriegen auch mit guten Abschlüssen keine Arbeitserlaubnis. Illegale kriegen keinen Führerschein. Illegale kriegen auch keine Social Security Nummer, der Tür-Öffner schlechthin in den USA. Illegale kriegen – der Fiskus nimmt’s, von wem er’s kriegen kann –, aber sehr wohl eine Steuernummer. Matuz verdingt sich als Immobilien-Maklerin und wartet darauf, dass der „Dream Act“ wahr wird. Wird er nicht.

Dafür kommt die Annullierung ihrer Makler-Lizenz. Weil sie keinen Führerschein hat. Sie muss lachen beim Erzählen und gleichzeitig die Tränen zurückhalten. „Ich weiß von Studenten, die in dieser Situation völlig verzweifelt sind und sich das Leben genommen haben“, sagt Dulce Matuz. Ist sie nicht der Typ für. „Bei den Robotikern habe ich viel gelernt. Man muss die Kultur ändern. Das geht, aber es dauert.“ Eine Light-Version des „Traum-Gesetzes“ ist für sie ein erster Schritt. Obama will damit „sein Gesicht wahren“, sagt sie, „und am 6. November die Stimmen von möglichst vielen hispanischen Wählern abgreifen“. Die neue Anordnung, seit ein paar Wochen in Kraft, ist ein Mix aus Aufschub von Deportation und Aufenthaltsrecht für zwei Jahre. „Besser als gar nichts“, sagt Dulce Matuz. 800.000 junge Latinos in ganz Amerika „können 24 Monate ruhiger schlafen und ihr Leben planen“. Wenn sie sich denn bewerben. Der Antrag kostet über 400 Dollar.

„Unsere Selbsthilfegruppe wird jede Woche größer“

Gemeinsam mit anderen Ehrenamtlichen hat Dulce Matuz ihren Verein aus dem Boden gestampft. Bei der ersten Beratung kamen 1000 Leute. „Unsere Selbsthilfegruppe wird jede Woche größer.“ Und mit ihr die Rückschläge. Jan Brewer, die republikanische Gouverneurin Arizonas, die man sich gut in alten John Wayne-Filmen als resolute Bordell-Betreiberin vorstellen kann, hintertreibt Obamas Verordnung nach Kräften. „Jan Brewer macht mich wütend“, sagt Matuz. Sie will, dass „endlich die Spielchen aufhören“, die Politiker seit Jahrzehnten auf dem Rücken derer austragen, „die nichts dafür können, dass sie hier sind“.

Ein Mensch zweiter Klasse

Bisher haben 180 000 „Illegale“ den Antrag gestellt. Dulce Matuz will, dass es „mehr werden“. Ob sie selbst für ein politisches Amt kandidieren will? Ob sie Obama wählen wird? Dulce Matuz lächelt mit zitternden Lippen. Die Antwort fällt ihr schwer. Sie hat im Frühjahr einen Amerikaner geheiratet und damit ein Residenzrecht. Ein Mensch zweiter Klasse bleibt sie trotzdem. Arizona lässt sich zwei Jahre Zeit mit ihr. Und prüft, ob sich die Frau, die zu den „100 wichtigsten Personen der Welt“ gehört, als Bürgerin mit allen Rechten und Pflichten eignet. Wie die Prüfung ausgeht, weiß Dulce Matuz. „Amerika braucht manchmal lange für die moralisch richtige Entscheidung. Aber am Ende trifft es sie.“