Düsseldorf. . Wie soll man umgehen mit jugendlichen Intensivtätern? Die Zukunft des umstrittenen Modellprojekts „Jugendstrafvollzug in freien Formen“ ist nach der Flucht dreier Jugendlicher unklar. Und die FDP boykottiert einen von Rot-Grün einberufenen Runden Tisch.
Nach der Flucht dreier Jugendlicher aus einer Erziehungs-Einrichtung ringen Regierung und Opposition im Düsseldorfer Landtag weiter um eine zweite Chance für das umstrittene Modellprojekt „Jugendstrafvollzug in freien Formen“. Bei dem Projekt sollten ausgewählte Intensivtäter unter 21 Jahren anstelle einer Gefängnishaft ein neuartiges Pädagogikprogramm aus Sport, Benimm- und Kochkursen absolvieren.
Die FDP-Landtagsfraktion boykottiert jetzt einen von SPD und Grünen einberufenen „Runden Tisch“, der am Dienstag Lehren aus dem fatalen Fehlstart des alternativen Jugendstrafvollzugs ziehen sollte. „Wir erwarten zunächst Aufklärung des Justizministers über Fehlentwicklungen und schwere Kommunikationspannen“, sagte der FDP-Rechtspolitiker Dirk Wedel dieser Zeitung.
"Entweichungen" nicht erwähnt
Nach der Flucht von drei jugendlichen Intensivtätern aus der Dormagener Jugendhilfe-Einrichtung „Raphaelshaus“ hatte NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) das Modellprojekt am 28. September gestoppt. Die Idee erzieherischer Methoden im Jugendstrafvollzug entstammt einer überparteilichen Enquete-Kommission noch zu Amtszeiten seiner CDU-Vorgängerin Roswitha Müller-Piepenkötter. So sollen hohe Rückfallquoten von 60 Prozent gesenkt werden. In NRW verbüßen zurzeit rund 1800 Straftäter zwischen 14 bis 21 Jahren eine Gefängnisstrafe.
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„Wir stellen den Jugendstrafvollzug in freien Formen nicht grundsätzlich in Frage“, betonte FDP-Mann Wedel. Allerdings sei der Justizminister am Zug zu erklären, wie junge Intensivtäter wochenlang verschollen bleiben konnten und er selbst dazu Stillschweigen bewahrte. Kutschaty wird versuchte Verschleierung der Fluchten vorgeworfen. Der SPD-Politiker hatte Parlament und Öffentlichkeit nicht darüber informiert, dass bereits unmittelbar nach Projektstart im August mehrere Jugendstraftäter aus Dormagen weggelaufen waren. Gegenüber Medien pries der Minister sogar die neuen Wege im Jugendstrafvollzug, ohne die „Entweichungen“ zu erwähnen.
Fluchten sind wahrscheinlich
SPD und Grüne wollen den erzieherischen Ansatz möglichst schnell weiter erproben. Dies könne nur funktionieren, wenn alle Landtagsfraktionen dahinter stünden und die hohe Wahrscheinlichkeit von Fluchten nicht skandalisiert werde, heißt es. In Baden-Württemberg wird seit 2003 mit spezialisierter Jugendhilfe statt Gefängnis experimentiert – mit Fluchtquoten von 21 Prozent. „Wenn wir den Jugendstrafvollzug in freien Formen weiter wollen, müssen wir uns schnell über Verbesserungen unterhalten“, sagte Grünen-Rechtspolitikerin Dagmar Hanses, die den „Runden Tisch“ angeregt hatte. Womöglich sei man mit einer zu großen Modellgruppe gestartet. Auch könne über weitere Informationspflichten des Ministeriums nachgedacht werden.
Das Dormagener „Raphaelshaus“ gilt als bewährte Einrichtung im Umgang mit schwer erziehbaren Jugendlichen. Es hatte die Ausschreibung um das Landesprojekt „Justizvollzug in freien Formen“ gewonnen. Im August startete eine Modellgruppe mit sechs Jugendlichen, die zum Teil beachtliche Haftstrafen auf dem Kerbholz hatten. Sie hatten sich selbst bei der Leitung ihrer Justizvollzugsanstalt beworben. Ausgeschlossen waren lediglich Süchtige, Kapitalverbrecher, Sexualstraftäter und Jugendliche mit einem IQ von unter 80.