Gelsenkirchen. Der Rücktritt von Landesgeschäftsführer Klaus Hammer hat ein Schlaglicht auf den Zustand der Piraten-Basis geworfen. In Hammers Heimat Gelsenkirchen geht es um Mobbing, Rufmord und Denunziation – und um die Frage, ob die Partei von Rechten unterwandert wird.

Die Piraten sind in schwere See geraten. In Mecklenburg-Vorpommern und Berlin haben sie mit Affären zu kämpfen. Nur vier Prozent der Wahlberechtigten möchten aktuell der neuen Partei bei der Bundestagswahl 2013 die Stimme geben. Zu wenig. Und jetzt auch noch das: Gelsenkirchen. „Hammer-Gate“.

Die Stadt hat 260 000 Einwohner. 87 von ihnen sind Mitglieder der Piratenpartei. Vielleicht 20 sind aktiv. In E-Mails beschimpfen sie sich mal als „Spinner“, mal als „Rassist“. „Wir stehen dem ratlos gegenüber“, sagt der nordrhein-westfälische Piraten-Chef Sven Sladek. Er bedauert, „dass unsere Streitkultur noch nicht so entwickelt ist“. Denn die 20 an der Emscher bekämpfen, beleidigen und verklagen sich schon seit vier Monaten – und bringen die gesamte Landespartei in Verruf.

Es geht um „Mobbing“, „Rufmord“, „Denunziation“ und eine mögliche Verirrung nach Rechtsaußen. Landes- und Bundesvorstand sind eingeschaltet. Anwälte und Staatsanwälte auch.

Von Rechtsextremen unterwandert?

Der Landesgeschäftsführer der Partei, der 45-jährige IT-Berater Klaus Hammer, hat in der letzten Woche über diesen lokalen Kleinkrieg den Parteijob verloren. Er soll vertrauliche E-Mail-Ausdrucke in der Mülltonne vor der Haustür deponiert haben. Morgens war die Tonne leer. Auch Hammer ist ein Pirat aus Gelsenkirchen. „Habe ich Fehler gemacht? Ja, bestimmt“, räumt Hammer im Internet ein. Aber er könne ein Buch darüber schreiben, was hier mitten im Revier passiert sei.

Was passiert ist, ist ein eher verwirrender Plot. Er reicht zurück in den Juli. Es ist die Zeit, in der die Piraten Rückenwind haben. Sie sitzen im Landtag. Im Ruhrgebiet wollen sie Arbeitskreise für Kommunalpolitik gründen, aber in Gelsenkirchen könnten es gleich zwei werden. Denn hier ist man spinnefeind miteinander. Der Bauunternehmer H. ist die treibende Kraft der einen Seite. Auf der anderen mischt ein Kriminalbeamter a.D. mit. Man schickt sich böse E-Mails.

Dann kommt Hitler ins Spiel

Im August kommt Adolf Hitler ins Spiel. In DIN A 4-Größe hänge dessen Foto bei dem Unternehmer an der Wand, meldet ein Pirat. Abgelichtet hat er das Beweisstück nicht. Kameraklicks hätten ihn verraten.

Ob Rechtsextreme die Gelsenkirchener Piraten infiltrieren, rätseln jetzt die Leute um den Ex-Kriminalbeamten. Sie fahnden weiter - und finden das Bekenntnis des B. Der ist enger Freund des Unternehmers – und stuft sich im Internet als konservativ und national ein.

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Das Hitler-Bild hier, das rechte Profil dort – zusammen ist dies der Anlass, der drei Leute von der misstrauischen Fraktion mit ihren Ahnungen zu Klaus Hammer ziehen lässt. Sie sagen heute: Mit der vertraulichen Bitte an den Geschäftsführer, mögliche Rechtstendenzen zu prüfen, um die Partei zu schützen – und mit dem Vorsatz, nichts Unbewiesenes zu behaupten.

Wie die E-Mails in die Tonne kamen

Vielleicht hat Hammer in diesem Gespräch das „vertraulich“ überhört. Vielleicht gab es die konkrete Unterstellung einer Rechtstendenz am Ende gar nicht, die Hammer herausgehört haben will. Heute steht aber Aussage gegen Aussage. Denn Stunden nach dem Treffen, am 23. August, hat der Geschäftsführer das Erlebte zusammengefasst. Er hat Namen genannt und alles dem Landesvorstand gemailt. Durch den „umfangreichen Mailverkehr“ im NRW-Verband hat dann auch der Unternehmer H. von dem Verdacht erfahren. Er bestreitet jeden Extremismus, wandte sich an die Staatsanwaltschaft. Das hat bei Hammer Panik ausgelöst. Er wollte nur noch „meine Familie schützen“. Dem Staatsanwalt, sagt er, bot er an, die Mails „im Altpapier“ zu entsorgen. Der habe Ja gesagt.

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Für die Partei ist alleine die Mülltonnen-Ablage ein Tabubruch. Ein Pirat, der den Datenschutz verletzt? Hammer haben sie deshalb mit zweijährigem Funktionsverbot belegt.

Ist Gelsenkirchen überall?

Wie viel Einzelfall steckt in der Geschichte? Steht das Gelsenkirchener Chaos für den Zustand der ganzen Partei? Sven Sladek, der Landeschef, will „nirgendwo etwas Ähnliches in der Härte erlebt“ haben. „Unglücklich“ sei die Sache gelaufen. Rechte Tendenzen? Die sieht er nicht. Heute ist in Düsseldorf Vorstandssitzung. Auf der Tagesordnung steht „Hammer-Gate“.