Essen. China und Japan streiten sich um unbewohnte Inseln im ostchinesischen Meer. Nationalisten in beiden Ländern fordern Krieg. Eberhard Sandschneider ist China-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er warnt vor einer Eskalation des Konflikts. Die werde für die Welt fatale Auswirkungen haben.

Der Inselstreit mit Japan hat am Dienstag in China wieder die Emotionen hochkochen lassen. Tausende Menschen demonstrierten in verschiedenen Städten. Sie forderten einen Boykott japanischer Waren, manche eine Kriegserklärung gegen Japan. Wegen der Proteste blieben etliche japanische Betriebe in China geschlossen. Ein Gespräch mit Eberhard Sandschneider, dem China-Experten der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, kurz DGAP, über den Konflikts.

Droht ein Krieg zwischen Japan und China?

Eberhard Sandschneider: Wenn man die derzeitige Geschwindigkeit des Aufschaukelns dieses Konfliktes in Betracht zieht, kann man wahrscheinlich keine Konflikteskalationsstufe wirklich ausschließen. Das Stichwort Handelskrieg wird mittlerweile schon in internationalen Medien geführt. Wenn sich die Schiffspräsenz durch beiden Seiten in der Region verdichtet, ist eine militärische Auseinandersetzung im Bereich des Möglichen, ganz klar.

Dieser Inselstreit schwelt ja schon länger. Warum kommt es ausgerechnet jetzt zu dieser Eskalation?

Sandschneider: Es ist eigentliche eine typische Entwicklung, die man in solchen Konfliktlagen immer wieder beobachtet. Der Konflikt schwelt, er ist ruhiggestellt und plötzlich beginnt durch kleine Ereignisse eine Ereigniskette, die dann zum Aufschaukeln des Konflikts auf beiden Seiten führt. Dieses kleine Ereignis war jetzt der Ankauf von drei dieser Inseln durch die japanische Regierung. Eigentlich völlig unbedeutend, ändert in der realen Situation überhaupt nichts, führt aber auf der symbolische Ebene dazu dass Aktion und Reaktion zu einem Krisenszenario werden.

Wer kann diese Situation deeskalieren?

Sandschneider: Die beiden Beteiligten zu aller erst. Ich glaube nicht, dass es da sehr große Einflussmöglichkeiten von außen gibt. Es wäre notwendig, dass beide Regierungen sich direkt miteinander in Verbindung setzen um dafür Sorge zu tragen, dass all diese symbolischen Akte, die jetzt passieren - auch die Demonstrationen in China und das Zerstören von japanischem Eigentum in China, einschließlich der entsprechenden Reaktionen Japans - aufhören und in einen Diskurs überführt werden der wieder kooperativere Möglichkeiten zulässt.

Die Japaner haben durch wirtschaftlichen Niedergang einerseits, durch Fukushima andererseits massive Schläge für das nationale Selbstbewusstsein bekommen. Kompensieren sie diese jetzt durch den Konflikt?

Sandschneider: Schwer zu sagen, was die japanische Regierung an dieser Stelle getrieben hat, aber man muss vielleicht noch etwas grundsätzlicher festhalten; Die jetzigen Ereignisse zeigen, wie tief zerrüttet das Verhältnis zwischen China und Japan, bedingt durch gemeinsame, schlimme historische Erfahrungen immer noch ist. Mir hat heute morgen ein chinesischer Student gesagt: Das Verhältnis zwischen China und Japan sei heute noch schwieriger, als das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich nach dem zweiten Weltkrieg gewesen war.

Wer sind die treibenden Kräfte hinter dieser Eskalation? Ist das die einfache Bevölkerung, oder wird das auch aus Regierungskreisen mit betrieben?

Sandschneider: Ob das gesteuert wird, darüber kann man eigentlich nur Vermutungen anstellen. Aus der chinesischen Perspektive kann man die Vermutung nicht von der Hand weisen, dass ein solcher außenpolitischer Konflikt ein Augenblick im Vorfeld des 18. Parteitages die öffentliche Aufmerksamkeit auch von den parteiinternen Auseinandersetzungen ablenkt. Beweisen kann man so was natürlich nicht.

Welche Auswirkungen hätte ein Handelskonflikt, beziehungsweise ein vielleicht sogar bewaffneter Konflikt für den Rest der Welt?

Sandschneider: Fatale Auswirkungen. Beide Staaten sind fest in die globale Wirtschaft integriert. Wenn dieser Konflikt weiter geht, wenn es zu weiteren Verwerfungen kommt, wenn es zu Störungen von Produktionsabläufen kommt, dann fallen plötzlich Zulieferer aus – die Produktion kommt insgesamt ins Stocken. Das betrifft dann die Weltwirtschaft, das werden wir auch relativ bald in Europa zu spüren bekommen. Aber vielleicht kann man da auch einen kleinen Hoffnungsanker setzen. Es kann natürlich nicht im Interesse der beiden beteiligten Staaten sein, ihre wirtschaftlichen Beziehungen durch eine solchen Konflikt maßgeblich in Mitleidenschaft zu ziehen. Das ist sicher nicht im chinesischem und auch nicht im japanischen Interesse. Aus dieser formal gemeinsamen Interessenlage könnte hoffentlich bald, in den nächsten Stunden und Tagen ein Impuls entstehen, der den Konflikt wieder in die andere Richtung bewegt.

Der US-amerikanische Verteidigungsminister Panetta versucht, mäßigend auf die Konfliktparteien einzuwirken. Ist ein solches amerikanisches Engagement sinnvoll oder eher kontraproduktiv?

Sandschneider: Engagement würde ich das nicht nennen. Was Panetta da gesagt hat ist wahrscheinlich das, was jeder nicht beteiligte Politiker auf der ganzen Welt sagen würde. Im Augenblick gibt es noch keine unmittelbare Rolle, außer den Gesprächen die hinter den Kulissen geführt werden. Der zufällige Besuch von Herrn Panetta hat ja nichts zu tun mit dem Konflikt zu tun. Aus chinesischer Sicht sind die Amerikaner ein problematischer Vermittlungspartner weil man natürlich um die strategische Partnerschaft zwischen den USA und Japan weiß, also hält man die USA prinzipiell in dieser Frage für parteiisch.

Welche Rolle spielt Taiwan?

Sandschneider: Der Drittbeteiligte, und an der Stelle kann man nur feststellen, dass Taiwan und die Volksrepublik China sich ausgesprochen einig sind. Bei allen Schwierigkeiten die man sonst miteinander hat, die sich auch deutlich gedämpft haben. Und am Fall Taiwan sieht man, dass man einen solchen Konflikt tatsächlich auch herunterregeln kann, wenn man vernünftig miteinander umgeht. In der Frage sind sie sich einig. In Taiwan sind die Proteste genauso antijapanisch, vielleicht nicht so virulent, aber im Prinzip genauso antijapanisch wie in der Volksrepublik.