Washington. . Amerikanische Sicherheitsexperten vermuten das Terrornetzwerk hinter dem Anschlag auf den US-Botschafter in Libyen. Der Hetz-Film ist nun auch Thema im Präsidentschaftswahlkampf. Mitt Romney macht dabei allerdings keine gute Figur.
Es war eine Gefährderansprache der besonderen Art. Martin Dempsey, der Generalstabschef der amerikanischen Streitkräfte, griff zum Telefon und rief eine Nummer in Florida an. Am anderen Ende der Leitung war ein einschlägig vorbelasteter Irrläufer, wenn es darum geht, die Beziehungen zwischen der islamischen Welt und den USA über Nacht durch schiere Provokation auf die Probe zu stellen. Terry Jones, christlicher Pfarrer mit Guru-haften Zügen aus Gainesville, hatte vor zwei Jahren mit öffentlich angekündigten Koran-Verbrennungen für diplomatische Verwicklungen gesorgt.
Die aktuelle Ankündigung des bekennenden Islam-Hassers, jenes ominöse Video in seiner Kirche wohlwollend zu zeigen, das in Libyen Mitauslöser für die tödlichen Anschläge auf die US-Botschaft war und eine noch unabsehbare Welle des Protestes in vielen Ländern der arabischen Welt ausgelöst hat, war für Dempsey alarmierend genug. Er bat Jones um Zurückhaltung. „Mehr geht nicht“, hieß es danach in Washingtoner Sicherheitskreisen, „dieser Unsinn ist von unserem Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.“
Der „Unsinn“, das sind bisher 14 Minuten einer Film-Vorschau, die zwar schon seit Juli im Internet kursiert, aber erst durch die Ereignisse am 11. September in Bengasi weltweite Bekanntheit erlangt hat. In dem Beitrag wird der Prophet Mohammed als widerlicher Mörder, Kinderschänder und Weiberheld verhöhnt. Die Klick-Zahlen des Streifens gehen inzwischen in die Millionen. Und mit jedem Mal geht die Wutkurve in der islamischen Welt steiler nach oben. Tausende protestierten gestern zwischen Tunis bis Bangladesch. Vorläufiger trauriger Höhepunkt: In der jemenitischen Hauptstadt Sanaa, wo Demonstranten am Donnerstag die US-Botschaft stürmen wollten und Autos in Brand setzten, starb ein Mann. Vor den traditionellen Freitagsgebeten heute wächst die Sorge vor einer weiteren Eskalation der Gewalt, die in Libyens US-Botschafter Chris Stevens ihr bisher prominentestes Opfer fand.
Extremisten nutzen die Empörung aus
Dass dabei „Die Unschuld der Muslime“ (Titel des Films) die Hauptrolle gespielt haben soll, wird inzwischen von US-Geheimdiensten bezweifelt. Der gezielte Einsatz von Raketenwerfern, Brandbomben und Panzerfäusten bei dem Anschlag auf das US-Konsulat in Bengasi, sagten mehrere Sicherheitsexperten und der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, Mike Rogers, spreche eher für eine Beteiligung des Terror-Netzwerkes El Kaida. „Extremisten haben die Empörung vieler Muslime über die gezielte Beleidigung ihres Propheten als Trittbrett benutzt. Sie wollen das Machtvakuum nicht nur in Libyen für sich ausnutzen, sondern insgesamt die instabilen Regierungen des Arabischen Frühling herausfordern“, analysierte eine langjähriger Islam-Kenner des Brooking-Institut auf Anfrage.
US-Präsident Obama hat eine umfassende Untersuchung angekündigt und in mehreren Ansprachen beteuert, die Schuldigen würden zur Rechenschaft gezogen. Der Forderung von Ägyptens Präsident Mohammed Mursi, der Verbreitung solcher Schmähwerke einen gesetzlichen Riegel vorzuschieben, werde das Weiße Haus mit Rücksicht auf die in der Verfassung besonders geschützte Meinungsfreiheit nicht nachkommen, hieß es.
Wer steckt hinter dem Film?
Unterdessen geht das Rätselraten um die Identität des Filme-Machers weiter. Einen Mann namens „Sam Bacile“, der sich gegenüber dem „Wall Street Journal“ als inzwischen untergetauchter Macher des in der Langfassung zwei Stunden dauernden Filmes ausgegeben hat, gebe es nicht, so berichteten gestern amerikanische und israelische Medien. Später hieß es, dass der 50-jährige Nakoula Bassely Nakoula alias Nicola Bacily aus Los Angeles der Urheber sei und ein ägyptisch-amerikanischer Christ namens Morris Sadek maßgeblich zur Verbreitung des Schmähwerks im Internet beigetragen habe.
Auch interessant
Steve Klein, ein Helfershelfer bei der im Juni in einer heruntergekommenen Kino vor zehn Zuschauern uraufgeführten Produktion, sagte der „Los Angeles Times“, der Islam sei definitiv eine gefährliche Religion. Dies darzustellen, sei das Ziel gewesen. Er bereue nichts. Mehrere in dem Film auftretende Schauspieler distanzierten sich gestern öffentlich von dem Film, der in einem Casting-Aufruf als „historischer Abenteuerfilm“ annonciert war: „Wir wurden grob getäuscht über Inhalt und Zweck und fühlen uns ausgenutzt“, sagten sie.
Romney sorgt für Widerspruch
Im bisher von Außenpolitik kaum tangierten Präsidentenwahlkampf haben die Gewaltausbrüche unterdessen die Tagesordnung vorübergehend auf den Kopf gestellt. Herausforderer Mitt Romney warf dem Präsidenten wahrheitswidrig vor, Obama lasse indirekt Verständnis für den wütenden Mob in Libyen und Ägypten erkennen. Selbst bei Parteifreunden löste die Attacke Stirnrunzeln aus. Tatsache ist: Außenministerium und Weißes Haus hatten die Ausschreitungen früh und unmissverständlich verurteilt. Obama wehrte sich in einer Fernseh-Interview. Romney schieße erst – und ziele später.
Im republikanischen Lager steht der zuletzt bei den Olympischen Spielen in London auf außenpolitischem Parkett gestrauchelte Romney bis auf wenige Ausnahmen allein. Weder sein Vizepräsidenten-Kandidat Paul Ryan noch die Spitzen im Kongress oder Schwergewichte wie John McCain stützen ihn. Nicholas Burns, unter dem republikanischen Präsidenten George W. Bush einflussreicher Diplomat, ging im Fernsehen noch weiter. Er sei „sehr enttäuscht und bestürzt“ darüber, sagte Burns, wie Romney Kapital aus einer schwierigen Lage ziehen will, „in der wir das Leben unserer Diplomaten schützen müssen“.