Berlin. Die Grünen machen auf Basisdemokratie: Ein kleiner Parteitag der Ökopartei hat am Sonntag beschlossen, dass die Mitglieder der Partei per Urwahl über die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2013 entscheiden sollen. Zwei Politiker sollen es am Ende richten, darunter mindestens eine Frau.
Nur rund eine halbe Stunde brauchten die Grünen auf ihrem Länderrat in Berlin - dann hatten die Delegierten die bundesweit erste Urwahl von Spitzenkandidaten für eine Bundestagswahl auf den Weg gebracht. Jetzt haben die knapp 60.000 Parteimitglieder das Wort. Kontroverse Debatten zu dem Urwahl-Vorschlag der Parteispitze, wie es sie in den vergangenen Wochen durchaus gegeben hatte, fanden auf dem kleinen Parteitag nicht mehr statt.
Sogar die geplante Aussprache beschränkte sich auf einen einzigen Redebeitrag des Bundestagsabgeordneten Toni Hofreiter, der für die Urwahl warb. Da nach den Regeln der Grünen danach ein Redebeitrag einer Frau hätte folgen müssen, war hiermit die Debatte mangels weiblicher Wortmeldungen auch schon beendet. Die Urwahl wurde daraufhin fast einmütig beschlossen - bei nur einer Gegenstimme und einer Enthaltung.
Eine Frau muss bei den Grünen im Rennen bleiben
Bis Ende Oktober können nun die Grünen-Mitglieder darüber entscheiden, welche zwei Politiker - darunter wieder mindestens eine Frau - sie 2013 in den Wahlkampf führen sollen. Neben Parteichefin Claudia Roth bewerben sich bislang Fraktionschefin Renate Künast und Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt - außerdem als einziger prominenter Mann Ko-Fraktionschef Jürgen Trittin und zwei eher unbekannte süddeutsche Kommunalpolitiker.
Vorschläge, wie sie im Vorfeld zum Beispiel Göring-Eckardt gemacht hatte, statt eines Duos ein breiteres Spitzenteam aufzustellen, spielten am Sonntag keine Rolle mehr. Und auch Forderungen, inhaltliche Fragen in die Urwahl zu integrieren, konnte Geschäftsführerin Steffi Lemke leicht abbiegen: Im kommenden Jahr ist ohnehin bereits eine weitere Mitgliederbefragung zur Auswahl der wichtigsten Wahlkampfthemen vorgesehen - Basisdemokratie steht bei den Grünen derzeit hoch im Kurs.
Claudia Roth betont ihr kantiges Profil
Für die Bewerber um die Spitzenkandidatur war das Wort "Urwahl" auf dem Länderrat im offiziellen Teil tabu. Roth hatte als Parteichefin als einzige den Vorteil, eine allgemein-politische Rede halten zu dürfen. Ob sie CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt wegen seiner europapolitischen Eskapaden als "Hütchenspieler" kritisierte oder Bundeskanzlerin Angela Merkel "Machtkalkül statt Inhalten" vorwarf - Roth ließ keine Gelegenheit aus, um zu zeigen, dass sie für ein kantiges Profil steht.
Ansonsten führte der Weg, um sich den Basisvertretern zu empfehlen, über den Umweg der Energiepolitik, neben der Zukunft des Verfassungsschutzes eigentliches Hauptthema der Veranstaltung. Scharfzüngig analysierte Trittin Widersprüche zwischen verbalem Ja der Koalition zur Energiewende und realer Behinderung - bis hin zur Forderung von FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle nach einem Moratorium für den Bau neuer Windräder und Solaranlagen. "Wir brauchen ein Moratorium für diese schwarz-gelbe Energiepolitik und am besten den Sofortausstieg", sagte Trittin unter großem Beifall.
Künast: "Jetzt lassen Sie erstmal die Mitglieder entscheiden"
Einen geschickten Bogen schlug Göring-Eckardt. Sie war als einzige aus der Riege der prominenteren Bewerber auf dem Länderrat nicht als Rednerin vorab gesetzt worden, sondern musste sich im Grünen-üblichen Losverfahren gegen andere Wortmeldungen durchsetzen. Dies nutzte sie nicht nur für ein engagiertes Plädoyer für eine konsequente Energiewende, sondern auch für die Forderung, sie sozial verträglich umzusetzen. Am konsequentesten im Bereich der Fachpolitik blieb Künast, die sachkundig auf die Probleme beim Einsatz von Biosprit hinwies.
In Gesprächen am Rande und in Interviews vor der Tür war freilich die Urwahl das Hauptthema. "Es geht darum, die beiden zu finden, die dem Wahlkampf das richtige Gesicht geben", sagte Roth. "Jetzt lassen Sie erstmal die Mitglieder entscheiden", quittierte Künast Fragen nach Chancen und Aussichten der einzelnen Bewerber und möglichen Konsequenzen für die Verlierer.
Göring-Eckardt trat dem Eindruck eines Gegeneinander der Grünen-Spitzenvertreter entgegen: "Alle vier werden nach der Wahl sagen: Jetzt machen wir zusammen Bundestagswahlkampf." Geschäftsführerin Lemke hoffte gar, eine erfolgreiche Urwahl wäre "ein ziemlich geiler Start in den Wahlkampf". (afp)