Moskau. Ein Moskauer Gericht hat die drei wegen Rowdytums angeklagten Aktivistinnen der russischen Punkband Pussy Riot am Freitag für schuldig erklärt. Die drei jungen Frauen müssen jeweils zwei Jahre in Haft - wegen “Rowdytums aus religiösem Hass“. Vor dem Gericht demonstrierten Hunderte Menschen gegen das Urteil. Einige von ihnen wurden festgenommen.
Die Musikerinnen der russischen Punk-Band Pussy Riot müssen für zwei Jahre in Haft. Ein Gericht in Moskau verurteilte die drei Frauen am Freitag wegen "Rowdytums motiviert durch religiösen Hass". Die Bandmitglieder hatten im Februar in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale mit einem sogenannten Punk-Gebet gegen den damaligen Regierungschef und jetzigen Präsidenten Wladimir Putin protestiert.
Bereits am Mittag hatte das Gericht die Musikerinnen wegen ihrer Protestaktion schuldig gesprochen. Der international kritisierte Prozess gilt als Gradmesser für den Stand der Meinungsfreiheit in Russland.
Durch die Protestaktion von Nadjeschda Tolokonnikowa, Maria Alechina und Jekaterina Samuzewitsch sei "moralischer Schaden für die Anwesenden Gläubigen" entstanden, sagte die Richterin. Ihre Strafe müssen die drei demnach in einem Straflager verrichten. Die Richterin sagte, sie habe mildernde Umstände bei der Festlegung des Strafmaßes gelten lassen. Auf die Tat könne dennoch nur mit Freiheitsentzug reagiert werden, sagte Syrowa. Die Staatsanwaltschaft hatte drei Jahre Haft gefordert.
"Pussy Riot" grinsten bei Schuldspruch
Die in einem Glaskäfig sitzenden Angeklagten quittierten den Schuldspruch zunächst mit Grinsen. Für die Urteilsverkündung waren scharfe Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden. Die Polizei hatte das Gerichtsgebäude weiträumig abgesperrt. Richterin Syrowa stand unter Personenschutz, weil sie nach Angaben der Behörden bedroht wurde.
Mit dem Schuldspruch verkündete Richterin Syrowa aus Sicht von Unterstützern der Angeklagten auch ein Urteil über die Toleranz Putins gegenüber der Opposition. Amnesty International sprach von einem harten Schlag gegen die Meinungsfreiheit. Der Spielraum für freie Meinungsäußerung sei noch einmal kleiner geworden. Vor dem Gerichtsgebäude riefen mehrere Hundert Demonstranten "Freiheit" und "Russland ohne Putin". Die Polizei nahm mehrere Menschen fest, darunter auch Anführer der Opposition. Weltweit wurde für Freitag zur Unterstützung für Pussy Riot aufgerufen, darunter auch in mehreren deutschen Städten wie Berlin und München.
Popstars wie Madonna und McCartney setzen sich für Pussy Riot ein
Nach Meinung der Kritiker steht der Prozess für die Gefährdung von Freiheitsrechten und das enge Verhältnis zwischen Staat und orthodoxer Kirche, deren Patriarch Kiril Putins Präsidentschaft als "Wunder Gottes" preist. "Unsere Inhaftierung ist ein klares und eindeutiges Signal, dass dem ganzen Land die Freiheit genommen werden soll", schrieb die Angeklagte Nadeschda Tolokonnikowa aus dem Gefängnis.
Für die Musikerinnen im Alter von 22, 24 und 30 Jahren setzten sich Popstars wie Madonna oder Paul McCartney ein. Die USA sprachen von einem politisch motivierten Prozess und auch die Bundesregierung kritisierte den Umgang des russischen Staates mit der Meinungsfreiheit. Die andauernde Untersuchungshaft der drei jungen Frauen sei unverhältnismäßig, monierte der Menschenrechtsbeauftragte Markus Löning. Ihre Aktion sei allenfalls als Ordnungswidrigkeit einzustufen.
Dass ein hartes Urteil gegen die Frauen, von denen zwei kleine Kinder haben, auch seinem Ansehen schaden würde, hat wohl auch Putin erkannt. Mitten im laufenden Verfahren plädierte der studierte Jurist Putin für Milde. Die Verteidiger von Pussy Riot sind überzeugt, dass das Urteil nicht vom Gericht geschrieben, sondern vom Präsidialamt diktiert wird.
Europaweite Proteste wegen Anklage gegen Pussy Riot
Die russische Polizei hatte vor der Urteilsverkündung das Gerichtsgebäude angesichts massiver Proteste abgesperrt. In zahlreichen Großstädten in Westeuropa und Nordamerika gingen Sympathisanten von Pussy Riot auf die Straße. Auch in Berlin kam es zu einer Kundgebung vor der russischen Botschaft, zu der sich Hunderte Menschen angekündigt hatten.
Etwa 100 Menschen haben am Freitag in Hamburg für die Freiheit der drei Aktivistinnen der russischen Punkband Pussy Riot demonstriert. Mit Masken versammelten sich die Protestler am Mittag auf dem Tschaikowskyplatz an der Russisch-Orthodoxen Kirche des Heiligen Johannes von Kronstadt. Über das soziale Netzwerk Facebook hatte es zuvor 273 Zusagen gegeben. Nach Angaben der Polizei verlief zunächst alles ruhig.
Die russische Polizei hat bei Protesten gegen den Pussy-Riot-Prozess vor dem Moskauer Chamowniki-Gericht den Oppositionsführer Sergej Udalzow festgenommen. Das berichtete die Nachrichtenagentur Interfax kurz vor der Urteilsverkündung am Freitag. Udalzow überschritt demnach eine Absperrung der Polizei vor dem Eingang des Gerichtsgebäudes und wurde nach kurzer Verhandlung mit den Beamten abgeführt. (rtr/dapd)
Das ist die Band Pussy Riot
Pussy Riot bezeichnen sich selbst als Band. Doch ihre Auftritte sind eher politische Kunstperformance als Konzert. Wissenschaftler wie Burkhard Breig, Professor für osteuropäisches Recht an der Freien Universität Berlin, sehen die Gruppe gar als Teil einer Protestbewegung.
Die Aktionen der Frauen hatten ein fast immer gleiches Strickmuster. Pussy Riot wählten ein politisch brisantes Thema und einen öffentlich wirksamen Ort. Dort führten sie eine Performance auf und sangen ein kurzes Protest-Lied. Ihre Auftritte auf dem Roten Platz in Moskau oder in der Christ-Erlöser-Kathedrale wurden gefilmt und umgehend ins Internet gestellt, sagt Burkhard Breig. "Auf diese Weise wollen die Frauen eine möglichst große Breitenwirkung erzielen, die Aktionen konservieren und verhindern, dass sie verschwiegen werden."
Mit ihren Auftritten ist die Gruppe Teil einer künstlerisch-politischen Bewegung, glaubt Breig. Rund hundert Künstler würden mit ähnlichen Aktionen in Russland etwa für Bürgerautonomie und gegen die Verflechtung von Staat und Kirche demonstrieren, schätzt der Experte. Bekanntestes Beispiel seien die "Monstrationen" des Künstlers Loskutov. Bei den scheinbaren Nonsens-Demonstrationen tragen Aktivisten Schilder mit absurden Sprüchen wie "Ich habe einen Namen" oder "Essen ist die beste Medizin". "Mit solchen Slogans sind die Teilnehmer politisch nicht angreifbar, machen aber zugleich auf ihre Bürgerrechte aufmerksam", sagt Breig.
Zumindest eine der Pussy-Riot-Sängerinnen war bereits zuvor mit ähnlichen Aktionen politisch aktiv: Nadeschda Tolokonnikowa hatte sich bei der "Wiona"-Gruppe beteiligt und mit künstlerischen Aktionen etwa gegen den Inlandsgeheimdienst (FSB) demonstriert. Tolokonnikowa war dem Staat schon länger ein Dorn im Auge, sagt Burkhard Breig. Es sei nicht auszuschließen, dass man mit dem Prozess gegen sie und ihre Mitstreiter ein Exempel statuieren wolle.