Berlin. Vergiftetes Kompliment oder Kehrtwende? Der Fraktionschef der Linken lobt die politische Entwicklung der einstigen Vorzeige-Kommunistin Wagenknecht: Die habe nun nicht nur Marx, sondern auch Ludwig Erhard gelesen - “und verstanden“. Und auch mit Lafontaine sei wieder alles in Ordnung.
Linken-Fraktionschef Gregor Gysi kann sich seine Stellvertreterin Sahra Wagenknecht gut als seine künftige Nachfolgerin vorstellen. "Irgendwann steht der Generationswechsel an. Ich würde es ihr gönnen", sagte Gysi der Zeitschrift "Bunte". "Das Zeug dazu entwickelt sie." Vor einigen Jahren habe er Wagenknechts Aufstieg nicht befürwortet, fügte der Fraktionschef hinzu. "Heute hat sie nicht nur Karl Marx, sondern auch Ludwig Erhard gelesen - und verstanden. Nun müsse Wagenknecht nur noch lernen, ihre Erkenntnisse auch Leuten zu vermitteln, die sich kaum mit Politik beschäftigten.
"Ich denke nicht ans Aufhören"
Wann der Generationenwechsel anstehen könnte, ließ Gysi offen. Im "Sommerinterview" der ARD hatte der Fraktionsvorsitzende der Linken erst jüngst noch angekündigt, er wolle seine politische Karriere noch nicht beenden. "Ich denke nicht ans Aufhören und will mein Bundestags-Direktmandat in Berlin auf jeden Fall wieder erringen", hatte der der 64-Jährige betont.
Gysi-Auftritt in Bochum
Dass er nun Wagenknechts politische Weiterentwicklung lobt, dürfte viele Beobachter überraschen. Denn die Fraktionsvize, die mit dem früheren Linke-Vorsitzenden Oskar Lafontaine liiert ist, gilt als Vertreterin des linken Parteiflügels und hatte als einstige Wortführerin der Kommunistischen Plattform einst viel interne Kritik auf sich gezogen. Zudem hatte sie gemeinsam mit Lafontaine die Linke beim jüngsten Parteitag in eine Zerreißprobe geführt, indem die beiden fintenreich verhindert hatten, dass der erklärte Lafontaine-Kritiker und Reformpolitiker Dietmar Bartsch neuer Parteichef wurde.
Stattdessen lancierten sie mit Katja Kipping und Bernd Riexinger zwei eher unerfahrene Politiker an der Parteispitze - die aber auf Lafontaines kompromisslosen Anti-SPD-Kurs liegen. Gysi äußerte sich nach dem Parteitag extrem kritisch über seinen früheren Co-Parteichef. Nun allerdings betont er, er verstehe er sich inzwischen gut mit Lafontaine. Die beiden sprächen "so deutlich miteinander wie nie zuvor, sagte der Fraktionschef. "Der Ton ist wieder besser geworden, wir meistern die Widersprüche." (afp)